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Zwischen
Zeichen und autonomer, assoziationsträchtiger Form angesiedelt sind
die Skulpturen Volker Sauls. Jede dieser plastischen Arbeiten resultiert
aus einer zeichnerischen Geste bei entkörperlichender Frontalansicht
scheint diese grafische Herkunft deutlich auf. Reste, Vorstufen, Nachklänge
von Schrift, diese körperlose aber vom Körper durch diffizile
Handbewegungen hervorgebrachten Lineaturen sind ihnen anzusehen. Aus der
Schriftgeste wird eine plastische Linie, aus den Bewegungen, Schwüngen
des Zeichnens entstehen die Biegungen, das Ausgreifen und Schlängeln
der Plastiken. Das Fast-Nichts eines grafischen Notats wird nach bestimmten
Regeln Konturen verlaufen einander bestärkend exakt parallel,
die Körper sind stets doppelt so hoch wie breit, sie beginnen und
enden in einem exakten Halbrund zur dreidimensionalen Skulptur
transformiert. Ihnen allen gehen zahlreiche Linienstudien mit direkt aus
der Tube auf Papier aufgetragener Farbe voraus, die in einem langwierigen
Klärungs- und Findungsprozess geprüft, präzisiert, schließlich
als plastische Körper aus geschichtetem MDF realisiert und abschließend
mit einer Farbhaut aus Acryl versehen werden, die sich aus einem einzigen
Ton oder Weiß und maximal drei Bunttönen stets ungemischten,
fertigen Farben, wie sie die Hersteller anbieten aufbaut.
Alle, die konstruierten (you c) wie die frei entwickelten
deuten Schrift, Schriftgesten an, einige sind lesbar (smax)
andere dürften mit einzelnen Buchstaben zu tun haben, wieder andere
könnten ein grafisch-plastisches Äquivalent für zeilige
Reihungen, Blindtext sein. Lange blieb dieser Subtext der Arbeit diskret
verborgen, wird in jüngeren Arbeiten aber offensiver als plastisches
und inhaltliches Potenzial ausgelotet. Und so spielen sie deutlicher an
auf Schrift, spielen mit ihr, umspielen sie als flüssige, freie Geste
und selbst noch in den weit vom Lesbaren entfernten, komplexen Körpern
ist der Impuls einer befreiten Schrift, eines Zeichnens nach oder vor
den Zeichen zu ahnen. Ebenso spielen sie mit der Möglichkeit von
Bedeutung, deuten sie an, versprechen sie. Denn auch einer unleserlichen
Schrift, einem unbekannten Alphabet kommt wie erst recht einem
identifizierbaren Buchstaben, einem ganzen Wort Bedeutung zu. Sie
alle sind absichtsvoll ins Leere laufende Bedeutungsandeutungen: nicht
was smax oder FPS ist, vielmehr was es sein könnte
(Comicfigur, Schokoriegel, Erfrischungsgetränk, Modemarke, Web-alias
nichts ist unmöglich). Lässt die Gestaltung des Schriftzuges
an ein trendfreudiges Logo denken, so ist bereits das klangvolle smax
selbst zeitgenössisches Sprachdesign, ein Markenname ohne Produkt.
Dann aber wird man die Buchstaben übersehen (wenngleich die Prägung
durch Schrift sich als hartnäckig erweist, das Auge ist ein Gewohnheitsorgan),
aus dem Lesen wird Betrachten und allmählich wird die Skulptur sichtbar.
Wie selbstverständlich stehen die Formen vor Augen, einleuchtend,
in mancher Hinsicht vertraut (ein Echo der Schrift). Sie kommen aus der
Bewegung, konzentrieren sie und geben sie als Impuls weiter. Sie wirken
biegsam, geschmeidig, schwingen sich leichthin in Rundungen, Wellen, Buchten,
organisch-lebendig konturierte Formkörper, halten nicht still. Kein
Relief, sondern auf und mit der Wand oder dem Boden agierende Skulpturen.
Das sie augenscheinlich erstarrt sind, könnte auch ein Zufall sein,
eine Tarnung, ein Trick, und kaum haben wir ihnen den Rücken zugekehrt,
beginnen sie wieder ihr Eigenleben, dehnen sich, ziehen sich zusammen,
tasten, schieben sich voran. Sichtbar ist, so könnte man meinen,
nur ein vorübergehender Zustand, die Option zur Selbst- und Weiterverwandlung,
latente Beweglichkeit ist ihnen anzusehen; jede von ihnen könnte
anders sein, wird anders werden. Und die Farben sind Katalysatoren dieser
Suggestion.
Stets sind die plastischen Arbeiten Volker Sauls farbig, nie materialsichtig.
Klare, strahlungsstarke Töne bekräftigen den Fluss der plastischen
Linie, heben bei einfarbigen Stücken den Körper signalhaft vom
Grund, dem mitunter in einem kontrastierenden Ton gestalteten Fond ab:
markante Allianzen von Skulptur und Fläche, plastische Wandbilder.
Und selbst das vermeintlich neutrale Wandweiß wird durch einen wohlplatzierten
Formkörper (und weit stärker noch durch mehrere) zur Spielfläche,
zum virtuellen Handlungsfeld, die Arbeit macht sich auf ihre Art den Ort
zu eigen. Und dort, wo Raum und Fläche teilweise umschlossen oder
als prägnanter Bereich zwischen mehreren, miteinander agierenden,
aufeinander reagierenden Körpern artikuliert wird, dort kann die
Wandfläche selbst zur Form, für den Augenblick zur Figur werden,
wird der Zwischenraum als interner Spannungsbereich, als gefüllte
Leere, als eigenwertige Raumform wahrnehmbar.
Im Jahr 2001 wurden, vorbereitet durch zahlreiche Papierarbeiten, aus
der einen Farbe mehrere Farben, wurden aus den homogenen, materialneutralen
Oberflächen der Skulpturen lebendige, komplexe Strukturen. Die brillante,
leuchtende Farbigkeit der seitdem entstehenden Arbeiten könnte eine
Qualität des Materials sein, aus dem sie vollständig zu bestehen
scheinen. Nicht eine nur den Kern verdeckende, aufgetragene Farbe, sondern
eine zwischen Natur- und Kunststoff oszillierende massive Substanz. Augenscheinlich
durchdringen Farben und Struktur die Körper vollständig, als
wären sie aus Blöcken mit eben dieser stofflichen Beschaffenheit
herausgeschnitten worden und müßten sich in ihrem Inneren diese
Äderungen, Strukturen, diese Farben fortsetzen.
Wie eine künstliche Maserung, eine artifizielle Sedimentation erscheinen
die gestromten, parallel verlaufenden, mal mehr mal weniger regelmäßig
zwischen Farben und Weiß abwechselnden Verläufe. Sie folgen
dem geschmeidigen Fluss der plastischen Form, vollziehen Krümmungen
nach, beschleunigen den Blick oder nehmen bremsend in leicht abweichender
Weise die Kurven und Buchten auf, dann aber widersetzen sie sich dem Körper,
konterkarieren Richtungen, Ausrichtungen. Wie ein Gegenstrom zu den Kräften
der plastischen Großform agieren die Farben stellenweise mit ihren
eigensinnigen Impulsen. Wo dies geschieht, kommt es zu potenziellen Weitungen
des realen Körpers. Der abweichende Impuls deutet eine virtuelle
Ausdehnung, einen alternierenden Formverlauf an. Die Farbzeichnung entwickelt
ihr eigenes Kräftespiel, richtet sich mitunter gegen ihren Träger,
wirkt wie eine Nach- und Gegenzeichnung zur präzisen und hart geführten
Kontur des Körperverlaufs.
Eine all-over-Struktur kennzeichnet auch die zweite Variante des Arbeitens
mit mehreren Farben. Gleich einem Dripping überziehen sie die gesamte
sichtbare Oberfläche; Bildet eine grafisch komplexe Topografie aus
Kavernen, Archipelen, Einsprengseln, Einlagerungen. Seiner Struktur nach
könnte dieses Fleckenmuster der Natur zur Tarnung dienen, die leuchtende
Farbigkeit aber verwandelt es in ein Aufmerksamkeit bindendes, kostbar
und ausgefallen erscheindendes visuelles Ereignis. Diese Farbigkeit verzichtet
auf Richtungsverläufe, entfaltet sich als reiche, kleinteilige Miniatur,
lockt zur Betrachtung aus nächster Nähe. Weniger als nachdrücklicher,
an den Formverlauf gebundener Bewegungsimpuls, denn als verhaltene Vibration,
als ein Flirren oder Flackern wirkt diese Struktur. Tastender, langsamer
ist der Blick. In einer allmählichen, schwebenden Bewegung gleitet
er zwischen den zahllosen Farb- und Formereignissen hin und her, denn
keine der Zufallsformen wiederholt eine andere; die Schaulust gilt dieser
Fülle und Vielfalt.
Ein Kernstück der Farbarbeiten ist eine offene Serie von in drei
Rottönen gestromten Stücken. Ihre Formen variieren das Prinzip
vergleichsweise einfacher, fließender Lineaturen und operieren mit
Verweisen auf eine gestische Schrift, meist nicht eindeutig lesbaren Buchstaben.
Sie bilden ein bewegliches Ensemble. So können einzelne Stücke
herausgenommen und durch andere ersetzt werden, auch ist der Umfang dieses
work in progress nicht festgelegt und kann noch erweitert werden. Abhängig
von den örtlichen Gegebenheiten sind Präsentationsform und Abfolge
der einzelnen Stücke, jedoch sollen sie stets nebeneinander, auf
eine gedachte Mittelachse bezogen platziert werden. Nicht nur der geringe
Abstand zueinander, sondern auch der ihnen allen gemeinsame Rotakkord
und die bewegt-flüssige Farbgestalt verbinden sie zu einem vielteiligen
Ganzen. Dessen Binnengrenzen verschwimmen, werden zu durchlässigen
Übergängen, sodass für den gleitenden Blick die Individualität
der einzelnen Elemente zurücktritt. Auch soll weder die Nähe
zum Ornamentalen, noch der Eindruck einer plastischen Schrift vermieden
werden, diese jedoch erweist sich schon durch die Fülle der Einzelzeichen
als unentzifferbar, schließt Lesbares von vornherein aus.
Mit den mehrfarbigen Skulpturen verschiebt sich die Aufmerksamkeit. Galt
sie bislang der Form und war die jeweils eine Farbe vor allem Mittel,
um dem Körper Prägnanz zu verleihen, so entsteht nun eine Konkurrenz
zwischen der großen Bewegung der plastischen Form und den von den
Farben und ihrer jeweiligen Struktur erzeugten kleinteiligen Binnenereignissen.
Der erste Blick gilt den Farben, ihrer eigenartigen, uneindeutig zwischen
künstlich und natürlich angesiedelten Materialität. Das
Auge folgt zunächst den Verläufen, der Zeichnung der Farbe und
vollzieht dabei unwillkürlich die plastische Form nach. Nur allmählich
tritt der Körper ins Bewusstsein, aus einigem Abstand wird die plastische
Form, ihre jeweilige Gestalt wahrgenommen.
Die Farben infizieren den Körper mit einer eigenen Energetik, einer
visuellen Unruhe, mit Temperaturschwankungen und ihren eigenen, ihm mitunter
zuwider laufenden Bewegungsimpulsen. Zudem irritieren sie die gleichmäßige,
glatte Oberfläche der Skulpturen mit einem Mikrorelief aus optisch
vor- und zurückschwingenden, -springenden Farben. Schließlich
perforiert den Körper das zwischen den Bunttönen stehende Weiß,
macht ihn durchlässig und leicht. Stellenweise der Farbe der Wand
ähnlich, verliert er durch sein Weiß an Kompaktheit (So widersprechen
die Farben und das mit der Wand verbündete Weiß dem Körper,
attackieren und bereichern ihn zugleich).
Die Komplexität der neuen farbigen Arbeiten führt, verführt
zu einem differenzierten und beweglichen, vielfältige, mitunter konträre
Aspekte integrierenden Wahrnehmen; sie sind Animationen für die Intelligenz
des Auges.
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