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Auf
der Wand haben sie leichtes Spiel. Obwohl die dunklen Körperlineaturen
massiv, starr von unbestimmbarer dichter Materialität Metall
oder schweres Gummi zu sein scheinen, wirken sie biegsam, beweglich,
formbar. Trotz scharfer, exakt parallel laufender, einander bestärkender
Kanten schwingen sie sich leichthin in Rundungen, Wellen, Buchten, laufen
halbrund aus: organisch konturierte, geschmeidige Formkörper. Doppelt
so hoch wie breit ist eine jede dieser körperhaften Linien, linearen
Körper, kein Relief, vielmehr auf und mit der Wand agierende Skulptur.
Wohlerwogen kombiniert, exakt aufeinander bezogen, bilden je zwei. Körperformen
ein plastisches Doppelstück. Zehn Paare umfaßt bislang die
in diesem Jahr entstandene, noch nicht abgeschlossene namenlose Werkgruppe.
Jedes Teilstück für sich ist Modul, kann mehrfach, gleich, einem
skulpturalen Baustein, verwandt werden und sich in unterschiedlichen Konfigurationen
entfalten. Der augenfällige Zusammenhang der gesamten Reihe ergibt
sich aus übereinstimmender Materialität und Farbigkeit, Maßgleichheiten,
der immer Paarweisen Anordnung bei vertikaler Ausrichtung und enger Gestaltverwandtschaft
aller Elemente.
Jeder einzelne Körper resultiert aus einer zeichnerischen Geste -
bei entkörperlichender Frontalansicht scheint diese graphische Qualität
deutlich auf. Ihnen allen gehen zahllose Linienstudien Volker Sauls mit
direkt aus der Tube auf Papier aufgetragener Farbe voraus, die in einem
langwierigen Klärungs- und Findungsprozeß geprüft, präzisiert
und in der Kombination und Konfrontation mit anderen Formen ihr Pedant
erhalten und schließlich als plastische Körper aus geschichtem
MDF realisiert werden.
Selbst aus der Nähe: nie halten sie still, denn fortwährend
arbeitet das Licht mit ihnen. Reflexzonen springen, wandern, gleiten,
überziehen das Schwarz mit hellem metallischem Schimmer, blitzen
manchmal auf. Und eben noch Helles, Glänzendes sinkt zurück
in stumpfes Dunkel. Obgleich die Oberfläche hart, gespannt wirkt,
öffnet der vielfältige Widerschein des Lichtes das massive Schwarz,
erleichtert es und macht es für einen Augenblick durchlässig,
als strahle von Innen verhaltenes Licht. Mit jedem Schritt, mit jeder
Bewegung wandert der Widerschein des Lichtes. Mit jeder Lichtveränderung
verwandelt sich das tiefe Schwarz, zeigt sich anders, werden im Schlimmern
und Scheinen Spuren sichtbar: die die Oberfläche strukturierende,
frei rhythmisierende Handarbeit, das immer wieder mit dem Spachtel aufgetragene
und geschliffene Schwarz; eine Lichtspielhaut.
In steter Verwandlung: Biegen, Dehnen und Beugen, Anspannen, muskelgleiches
Zusammenziehen. Mit jedem Blick verlebendigen sich die Körperlineamente,
überspielen den anorganischen Charakter der Oberflächen, verführen
den Blick zu Spekulationen, zum Zusehen. Wer so sieht, sich auf das Augenspiel
einlässt, wird mehr wahrnehmen als die bloße Faktizität
zweier organisch geformter schwarzer Bänder von bestimmter Tiefe,
Breite und Länge.
Jederzeit scheint eine Bewegung, eine Verschiebung möglich, jeden
Augenblick können sie sich rühren. Mit jedem Augenblick nimmt
das Schauen unwillkürlich die Impulse, die Suggestionen auf, setzt
fort, was ihm diese Dinge an der Wand nahe legen: nicht still zu halten,
sich zu strecken, zu krümmen, in fließenden Bewegungen eine
andere Stellung einzunehmen.
Selbst wo Gegensatz, Abwendung vorrangige Benennungen für das komplizierte
Geschehen zwischen zwei Teilstücken wären, gibt es eine Einheit,
eine (verdeckte) Relation zwischen den Formen, einen Bereich außerordentlicher
Nähe, eine Parallelführung, einen gemeinsamen Raum, der sie
aufeinander bezieht, zusammenbindet. Alles Winzigkeit und sie könnten
den Durchlaß, jene Kluft zwischen ihnen, überbrücken und
zu einem geschlossenen Band, zu einer einzigen Bewegungsform werden. Mal
streben sie mit Macht auseinander, wirkt eine Abstand gebietende Kraft
zwischen ihnen; immer haben sie miteinander zu tun.
Gesten, Körpergesten, ein spannungsgeladenes Reaktionsverhältnis:
dass jede Arbeit ein einzelner eingefrorener Moment aus einer Kette von
Ereignissen und Formbewegungen zu sein scheint und Anderes, Folgendes,
Vorhergehendes verkapselt, als Möglichkeit in sich eingeschlossen,
als Impuls und Andeutung, als assoziative Vorwegnahme noch, schon enthält.
So ist in ihnen die Zeit über den Augenblick hinaus gespeichert:
es könnte anders sein, wird anders werden. Wie von selbst stellt
sich eine Kaskade möglicher Benennungen, Zuschreibungen für
das Geschehen zwischen den Körpern, ihr Agieren ein. Für den
Augenblick verliehen und im nächsten Moment wieder abgelöst
durch andere Begriffsversuche. Dem Vorübergehenden, Momentanen entsprechen
vorläufige, veränderungsbereite Begriffe: schwingen, winden,
kriechen, strecken, vorantasten, abwenden, zuwenden, umfassen, zurückweichen,
dehnen, erstarren, abwarten, vorschnellen, drohen, belauern, umwerben
... In jedem Fall ereignet sich etwas zwischen ihnen: leerer Raum. Dort,
wo nichts zu sehen ist, ist etwas zu bemerken. Zwischen den Körperdingen
verdichtet sich nicht allein die weiße Wandfläche zur selbständigen
Form, sondern entsteht eine drei-dimensionale Zone, ein geformter, eigenwertiger
und eigensinniger Raum. Proportion und Größe der Doppelstücke
sind so gewählt, dass sie ein Volumen bilden, das vom Betrachter
als räumlich, als etwas ihm Gegenüberstehendes empfunden wird.
Massiv, physisch präsent sind diese raumgreifenden, Raum umschließenden
aber nicht einschließenden Körper; Dinge auf der Wand. Und
zwischen ihnen bildet sich eine plastische Raumform. Dieser Verhältnisraum
ist instabiler, flüssiger als die ihn definierenden Formen: erst
auf den zweiten Blick, mit einer Aufmerksamkeitsverschiebung, hebt er
sich von den umgebenden Körpern als ein Anwesendes-Abwesendes ab,
bringt ihn seine Umgebung wie nebenbei hervor. Ein organisch geformter
Dazwischenraum mit Buchten, Engen Ausstülpungen, nicht allseits begrenzt,
nach oben und unten bleiben Durchlässe, Öffnungen zum Umraum,
Übergänge zur Wand der Spielfläche und dem Aufenthalt des
Doppelstücks. Ku-kann ist im Japanischen das Wort für
>Raum<, zusammengesetzt aus ku, der >Leere< und kann, was
>dazwischen< bedeutet.
Mit jeder kleinen Bewegung des Betrachters, mit jeder Änderung des
Lichts verwandeln sich diese Arbeiten. Ebenso mit jedem über ein
bloßes Konstatieren hinausgehendem Wahrnehmen. Erst ein fortsetzendes,
handelndes Sehen transformiert das Minimum an Impulsen, Hinweisen, Vorgaben
in ein Maximum an Lesarten, Metamorphosen. Reduzierung als Stimulans,
s Wahrnehmungsintensivierung ergibt sich aus der Balance von Strenge,
Präzision und spielerischer, freier Bewegung, Systematik der Mittel
und deren undogmatischer Anwendung. Ereignisse, Vorgänge haben
Zuschauer, die Betrachter der Arbeiten Volker Sauls werden zu Hinzuschauern.
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