Volker,
ein Jahr bist Du jetzt hier in Sankt Peter. Wenn Du zurückschaust,
war das eine anregende Zeit für Dich? Was hat Dich herausgefordert?
VOLKER
SAUL: Die Konfrontation mit den Ausstellungen im Kirchenraum. Wenn
ich hier durch diese Tür gehe und sehe Arbeiten etwa von Leo Zogmeyer,
Alain Kirili oder Joseph Beuys, dann wird mir klarer, wo ich hin will
und wovon ich mich absetzen muß, um eine eigenständige Arbeit
zu erreichen. Für mich müssen meine Arbeiten daneben bestehen
können. Das hat meine Arbeit weitergebracht. Ich habe mich hier in
diesem Raum darauf konzentriert, zu zeichnen. Das hat sich langsam entwickelt
und dann Festigkeit gefunden. Es hat auch Resonanz hervorgebracht. Während
der Ausstellungen draußen konnte ich meine neuesten Werke präsentieren
und habe direkt eine Resonanz bekommen.
FRIEDHELM MENNEKES: Sind Deine Arbeiten nicht etwas sperrig für
Leute, die nicht aus der Kunstszene kommen? Das ist z.B. nichts zu erkennen.
V.S.: Ich habe mit den Leuten über meine Arbeiten selbst gesprochen,
über die Probleme die dabei entstehen und zu bewältigen sind.
Dann stellen die immer fest, daß dieses vermeintliche 'Gekritzel'
eine Auseinandersetzung mit dem Material oder einer Konzeption ist..
F.M.: In einem Raum wie diesem Atelier dürfte sich doch auch
die hohe Konzentration vermitteln, die in Deinen Arbeiten steckt: Reduktion,
Armut im Material, Einfachheit beim Malen selber. Gibt es da nicht
eine Offenheit zur religiösen Einstellung? Dabei kommt es doch auch
darauf an, daß man sich konzentriert, auf einen Punkt bringt, Dinge
abschreibt, zu sich selber kommt.
V.S.: Für meine Arbeit gibt es zwei Dinge, die wichtig sind.
Konzentration und gleichzeitiges Loslassen, Ablösung von allzu zielgerichtetem
Arbeiten und energisches Handeln.
F.M.: Was bedeutet es für einen Künstler, an einem so lebendigen
Ort wie dieser City-Kirche zu leben. Alle möglichen Leute kommen
hierher, Fromme und Skeptische, Pendler und Penner, Touristen und Rheinländer,
solche, die wissen, was Kunst ist und andere, die sie suchen ist
das nicht eine große Herausforderung?
V.S.: Eine Herausforderung und eine Blockade. Wenn ich mich ganz intensiv
mit meiner Arbeit auseinandersetze, bin ich nicht bereit, mich nach außen
hin zu öffnen; in den Zeiten, wo ich viele Kontakte habe, Gespräche,
Vermittlungen, Eröffnungen, da kann ich nicht arbeiten.
F.M.: Sankt Peter ist nicht nur Kunst-Station, es ist auch eine alte
Kirche, eine alte Architektur. Wie stehst Du zu dem Raum mit der spätgotischen
Empore?
V.S.: Das ist sehr stimmig für mich. Ich mag ihn sehr. Die Architektur
hat eine ganz besondere Ausstrahlung von Ruhe und Konzentration...
F.M.: Es kommen auch Leute hierhin zu den Gottesdiensten, die sonst
mit der Kunst nichts zu tun haben.
V.S.: Ich begrüße, daß der Ort 'offen' ist. Hier
ereignet sich etwas Neues. Das habe ich bei den Eröffnungen festgestellt.
Gespräche kommen hier viel leichter zustande, auch über die
Kunst.
F.M.: Wie sind Dir die Menschen, die mit der Kirche zu tun haben,
begegnet?
V.S.: Ich stelle mich ja nur zur Verfügung, ich gehe auf keinen
zu. Bisher hatte ich eigentlich nur positive Reaktionen auf das, was ich
hier mache.
F.M.: Du hast das Milieu nicht zu spüren bekommen, das Deinen
Vorgänger noch so befremdet hat. Enge oder Ängstlichkeit?
V.S.: Ich reagiere nicht darauf. Ich muß auch vieles von mir
fernhalten.
F.M.: Du bist der Erste, der den Turm künstlerisch in die Arbeit
mit einbezogen hat, diesen alten romanischen Turm mit seiner seltsamen
Eisenkonstruktion für die alten Glocken.
V.S.: Der Turm hat für mich hier die stärkste Ausstrahlung
überhaupt. Vielleicht weil er nicht so sehr ein sakraler Raum ist.
Durch dieses funktionale Eisengerüst in dem alten Gemäuer kommt
da noch ein anderer Aspekt rein, Nähe zur Industrie vielleicht. Und
es kommen verschiedene Zeiten zusammen: altes und neues Arbeiten, man
fühlt sich mehr in die Geschichte eingebunden. Mich hat es gereizt,
daß man in den Raum ja richtig reinsteigen muß, er ist nicht
direkt und bequem zugänglich. Als ich kam, hab ich mich erst mal
eine Stunde hingesetzt. Dann wußte ich, daß ich mit dem Raum
arbeiten will. Ich habe zuerst eine Testinstallation mit Reliefs gemacht
und festgestellt, daß ich mit alten Bäckerbrettern als Objekten
Elementarzeichen gebildet. Sie haben eine eindringliche Präsenz,
ohne aufdringlich zu werden. Die Bretter zeigen ja auch Spuren des Gebrauchs
und fügen sich gut in diesen Raum ein. Die Zusammensetzung der Elemente
will ich jetzt nach und nach verändern.
F.M.: Du hast in diesem Jahr hier in Sankt Peter zu einer ganz neuen
Arbeitsweise gefunden.
V.S.: Ja, ich zeichne mit Öl aus der Tube direkt auf Papier.
F.M.: Und diese direkte Bearbeitungsweise hast Du hier entwickelt?
V.S.: Ja, das hab ich hier gefunden. Angefangen hab ich mit Kohlenzeichnungen;
das war´s aber nicht. Ich wollte Zeichnungen machen, wo der Strich
für sich selbst steht, und keine Unterstützung durch Arbeitsspuren
oder durch das Untergrundmaterial erfährt.
F.M.: Diese neue Arbeiten leben davon, daß der Strich sicher
sitzt.
V.S.: Man kann nicht schummeln. Man kann nichts korrigieren. Der Strich
muß sitzen.
F.M.: Du hast in diesem Strich eine große Nuancierung: die Spannbreite
von einer festen zu einer ganz leichten, unterbrochenen, nur noch ahnbahren
Linie.
V.S.: Liegt die Öffnung der Tube ganz auf dem Papier auf, entsteht
eine gleichbleibende Linie, bei leichter Berührung variiert die Breite
und Intensität. Dazu gehört Fingerspitzengefühl. Die Berührung
mit dem Papier ist ja ganz direkt. Man braucht zum einen eine große
Stärke der Formulierung, aber gleichzeitig auch die Sanftheit der
Berührung.
F.M.: Das Ganze kommt ganz stark aus dem Gestischen, aus einem Vertrauen
auch zu den Bewegungsmechanismen?
V.S.: Nicht so eindeutig. Eine Geste hat mir zu sehr mit Emotion zu
tun. Das geht bei dieser Technik nicht, der Technik des Aus-der-Tube-Zeichnens.
Da sind fast mechanische Handbewegungen notwendig, ich folge einem Impuls,
wobei ich auf schon Gemachtes reagiere. Ich bewege mich schon innerhalb
eines Formenbereiches. Es ist auch der Reiz, immer wieder mit Fremdem
konfrontiert zu werden. Nach einer gekonnten Zeichnung, deren Systematik
ich beherrsche, suche ich nach dem Unbekannten, Zufälligen. Dadurch
gibt es Brüche in den Serien, manche Blätter passen zusammen,
andere gehen auseinander.
F.M.: Interessant ist bei einigen Blättern, bei den gelben Zeichnungen
etwa, daß es so etwas wie eine farbliche Veränderung gibt.
Wie kommt das zustande?
V.S.: Ich habe bestimmte Gelbtöne ausgesucht, die nah an der
Farbe des Papiers sind. Beim Zeichnen stelle ich fest, daß sich
durch verstärken Druck das Gelb zu einem Grau oder Metallic-Ton verändert.
Das geschieht durch Abreibung und Reaktion mit dem Blei der Tube, und
erzeugt eine zusätzliche Räumlichkeit.
F.M.: Hast Du diese Zeichnungen auch in anderen Farben gemacht?
V.S.: Ja, ich habe verschiedene Farben ausprobiert, mich aber dann
auf einige konsentriert, die Korrespondenz zu den großen Farbtafeln
stehen
F.M.: Die Linien bilden Figuren, Formen, Zusammenhänge. Du sagtest
einmal, sie seien angesiedelt zwischen Afrika und Science-Fiction. An
diesen Formen machen sich dann später die Bilder fest. Es sind Formsysteme
und Ausdrucks- und Sprachsysteme. Sie sind verschieden zueinander gesetzt.
Kannst Du etwas zu Deiner Formwelt sagen? Wie hat sie sich entwickelt?
V.S.: Grundsätzlich entwickelt sich die Formensprache zuerst
aus permanentem intensivem Zeichnen heraus, bis eine Festigkeit erreicht
ist. Dabei interessiert nicht die Nähe zum Figurativen wie zum Zeichenhaften,
das Erkunden von verschiedenen Assoziationsmöglichkeiten und dem
'Dazwischensein'. Je reduzierter diese Formensprache ist, desto mehr Möglichkeiten
habe ich.
F.M.: Man kann verschiedene Formen unterscheiden, z.B. einfach geometrische
und geschwungene biomorphe...
V.S.: Gewachsenes und Konstruiertes. Manche Bilder haben ähnliche
Zeichensysteme, bei anderen herrscht chaotische Vielfalt, bildsprengende
Spannung oder konzentrische Ruhe.
F.M.: Auf den ersten Blick springt diese Formwelt nicht ins Auge.
Sie braucht eine bestimmte Aufmerksamkeit und den Vorgang des Einsteigens.
Man muß drauf zugehen.
V.S.: Man muß sich ein Stück von festen Vorstellungen freimachen,
und suchen, dann findet man Bilder, die man nie zu Ende sehen kann.
F.M.: Gibt es für Dich eine letzte Idee, aus der heraus diese
Zeichen fließen? Die Konzentration auf Grundformen etwa, die es
in den verschiedensten Kulturen bis in deren frühe Stufen gibt und
die sich dann durchhalten? Gibt es eine bestimmte Qualität von Zeichen,
die Du anzielst, oder sind es einfach solche, die Du unbewußt locker
machst und die dann aus Dir herausfließen?
V.S.: Die Qualität sehe ich in der Mehrdeutigkeit und Zeitlosigkeit.
Es müssen Ansatzpunkte für Möglichkeiten dasein, die stehen
dann auf der Kippe zu mehreren Seiten. Beim Zeichnen fließt diese
erarbeitete Sprache aus mir heraus.
F.M.: Du vertraust offensichtlich auch diesem Fundus, aus dem sich
dieses Herausfließen speist?
V.S.: Der hat sich durch das Arbeiten selbst gebildet, durch immer
stärkeres Reduzieren. Das Überflüssige verschwindet dann
automatisch.
F.M.: Ist dieser Fundus von Dir geschaffen, erarbeitet worden, oder
ist er kollektiv drin? Steckt er kollektiv verteilt in unser aller Unbewußtem?
V.S.: Den gibt es überall, in der Natur, allen Darstellungssystemen,
und in allen Zeiten.
F.M.: Die Zeichnung ist das Grundelement Deiner Arbeit. Sie kommt
praktisch durch diese fast täglichen Übungen und Exerzitien
zu sich selbst. Mit diesen Formungen gehst Du dann über zur Malerei?
V.S.: Es ist die Frage, ob es Malerei ist. Es sind verschiedene Elemente,
Zeichnung, Farbe, Objekt, Installation, Verschiedene Dinge sind zueinander
in Beziehung gesetzt.
F.M.: Wie arbeitest Du in der Malerei, nimmst Du eine Leinwand...?
V.S.: Ich nehme die farbige Leinwand, und fange an irgendeiner ecke
an zu zeichnen. Die Arbeiten sind oft sehr groß, so ergibt es sich,
daß ich sie beim Zeichnen drehen muß. Da gibt es aber kein
Oben oder Unten, die Zeichen fliegen durch den Bildraum.
F.M.: Dann kommt der nächste Schritt, wo Du die Zeichnung wieder
zurücknimmst, in dem Du sie mit derselben Farbe überrollst.
V.S.: Mit der Malerrolle nehme ich sie teilweise wieder zurück,
die Farbe gestalte ich willkürlich aus unterschiedlichen Mischungen
von Pigment, Wasser und Acryl. Das variiert dann von einer ganz transparenten
Farbe bis hin zum Pastosen. Beim Überrollen wird durch das Abheben
der Kreide-Pigmente die Farbe aufgehellt und erhält so malerische
Qualitäten.
F.M.: In die anarchische Unordnung Form reinbringen, sie neu ordnen
und andere Schwerpunkte setzen?
V.S.: Die erste Bearbeitung wird nochmals entfremdet, verändert,
so daß die Zeichnen ganz anders zusammenkommen. Das ist ganz wichtig.
F.M.: Unterschiedliche Elemente, die übrig bleiben, gehen neue
Beziehungen ein?
V.S.: Bei manchen Arbeiten gehen die Zeichnungen fast ganz weg, da
sind sie nur noch in Andeutungen sichtbar. Doch teilweise entwickelt sich
diese überrollte Zeichnung wieder hervor. Die weißen Farbpartikel
arbeiten je nach dem Acryl- oder Pigmentanteil weiter. So kann es sein,
daß sich manche Bilder nach zwei oder drei Monaten immer noch verändern
und doch noch stimmig sind.
F.M.: Für diesen Entwicklungsprozeß hast Du ja eine gewisse
Erfahrung, so daß Du sie auch in gewisser Weise einschätzen
und kalkulieren kannst?
V.S.: Ich mußte mich langsam an dieses Material herantasten.
Es war für mich eine unbekannte Technik und nicht abzusehen, wie
die Materialien miteinander funktionieren.
F.M.: Ein weiteres Charakteristikum Deiner Arbeiten besteht darin,
daß Du einer Form, einem Bild ein anderes hinzusetzt. So bekommt
ein schwarzes Bild eine Definition durch ein blaues Element, das Du daneben
oder darüber setzt.
V.S.: Es ist für mich die Erweiterung des Systems, Bildelemente
stehen in unterschiedlichen räumlichen Beziehungen zueinander, und
bilden wieder neue Zeichen.
F.M.: Das Ganze ist ja ein dialektischer Vorgang im ständigen
Interagieren von Setzen, Wieder-wegnehmen, Neu-setzen, usw., also diese
Spannung zwischen Ja-sagen und Nein- sagen, von Kreieren und Töten?
V.S.: Für mich sind dies Polaritäten, zwischen denen ich
mich bewege, Zeichnung in ganz klarer Präsenz steht neben subtiler
Stofflichkeit der Farbe, hinzugeben / wegnehmen, Ursprung / Verarbeitung,
die Zeit dazwischen.
F.M.: Die Raison, aus der diese Arbeiten stammen, ersteht sich offensichtlich
als ein geistig-logischer Raum für die Betrachtung und setzt die
'Weiterspinnereien' in Gang, die dann vom Bild anheben und den Betrachter
um sich selbst konzentrieren lassen?
V.S.: Ich bin selbst gespannt auf das, was sie alles auslösen.
Jeder ist dabei auf sich selbst zurückgeworfen.
F.M.: Aber jetzt erhalten die Bilder eine zusätzliche Stimmung
durch den Ausstellungsraum, durch die gotische Kirchenarchitektur. Eine
weitere Hinzufügung zu den Bildern, die diese erneut definiert.
V.S.: Der Betrachter hat einen anderen Bezug dazu als in einem neutralen
Ausstellungsraum. Was hier meinen Arbeiten guttut, ist die Atmosphäre,
einen Kirchenraum zu haben, der Konzentration provoziert.
F.M.: Könntest Du Dir vorstellen, daß eines Deiner Bilder
einmal über einem Alter hängt?
V.S.: Dazu hab ich mir schon Gedanken gemacht. Ich glaube schon, daß
das ginge.
F.M.: Ein Triptychon setzt einen bestimmten Aufbau voraus. Jede Form
mußte in sich zentriert sein, dazu die Dreierform auf die Mitte
hin. Ist das für Dich nicht eine zu starke Vorgabe? Könntest
Du Dich überhaupt auf ein Triptychon als Bildidee einlassen?
V.S.: Die Installationen, die ich jetzt mache, bestehen auch solchen
Elementen. Ich habe ja auch schon dreiteilige Arbeiten gemacht. Das ist
für mich nichts Neues.
F.M.: Es wäre also kein Aufbruch in ein unbekanntes Land. Die
Interpretationen kämen erst dann in Gang wenn das Bild hingehängt
würde.
V.S.: Ich freue mich darauf.
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