Volker Saul

Friedhelm Mennekes: Volker Saul: Interview mit Friedhelm Mennekes.

In: Volker Saul, Katalogtext von Kunst Station Sankt Peter Köln, 15.December bis 15.Januar 1989
Volker, ein Jahr bist Du jetzt hier in Sankt Peter. Wenn Du zurückschaust, war das eine anregende Zeit für Dich? Was hat Dich herausgefordert?

VOLKER SAUL: Die Konfrontation mit den Ausstellungen im Kirchenraum. Wenn ich hier durch diese Tür gehe und sehe Arbeiten etwa von Leo Zogmeyer, Alain Kirili oder Joseph Beuys, dann wird mir klarer, wo ich hin will und wovon ich mich absetzen muß, um eine eigenständige Arbeit zu erreichen. Für mich müssen meine Arbeiten daneben bestehen können. Das hat meine Arbeit weitergebracht. Ich habe mich hier in diesem Raum darauf konzentriert, zu zeichnen. Das hat sich langsam entwickelt und dann Festigkeit gefunden. Es hat auch Resonanz hervorgebracht. Während der Ausstellungen draußen konnte ich meine neuesten Werke präsentieren und habe direkt eine Resonanz bekommen.

FRIEDHELM MENNEKES
: Sind Deine Arbeiten nicht etwas sperrig für Leute, die nicht aus der Kunstszene kommen? Das ist z.B. nichts zu erkennen.

V.S.
: Ich habe mit den Leuten über meine Arbeiten selbst gesprochen, über die Probleme die dabei entstehen und zu bewältigen sind. Dann stellen die immer fest, daß dieses vermeintliche 'Gekritzel' eine Auseinandersetzung mit dem Material oder einer Konzeption ist..

F.M.
: In einem Raum wie diesem Atelier dürfte sich doch auch die hohe Konzentration vermitteln, die in Deinen Arbeiten steckt: Reduktion, Armut im Material, Einfachheit beim Malen selber. –Gibt es da nicht eine Offenheit zur religiösen Einstellung? Dabei kommt es doch auch darauf an, daß man sich konzentriert, auf einen Punkt bringt, Dinge abschreibt, zu sich selber kommt.

V.S.
: Für meine Arbeit gibt es zwei Dinge, die wichtig sind. Konzentration und gleichzeitiges Loslassen, Ablösung von allzu zielgerichtetem Arbeiten und energisches Handeln.

F.M.
: Was bedeutet es für einen Künstler, an einem so lebendigen Ort wie dieser City-Kirche zu leben. Alle möglichen Leute kommen hierher, Fromme und Skeptische, Pendler und Penner, Touristen und Rheinländer, solche, die wissen, was Kunst ist und andere, die sie suchen – ist das nicht eine große Herausforderung?

V.S.
: Eine Herausforderung und eine Blockade. Wenn ich mich ganz intensiv mit meiner Arbeit auseinandersetze, bin ich nicht bereit, mich nach außen hin zu öffnen; in den Zeiten, wo ich viele Kontakte habe, Gespräche, Vermittlungen, Eröffnungen, da kann ich nicht arbeiten.

F.M.
: Sankt Peter ist nicht nur Kunst-Station, es ist auch eine alte Kirche, eine alte Architektur. Wie stehst Du zu dem Raum mit der spätgotischen Empore?

V.S.
: Das ist sehr stimmig für mich. Ich mag ihn sehr. Die Architektur hat eine ganz besondere Ausstrahlung von Ruhe und Konzentration...

F.M.
: Es kommen auch Leute hierhin zu den Gottesdiensten, die sonst mit der Kunst nichts zu tun haben.

V.S.
: Ich begrüße, daß der Ort 'offen' ist. Hier ereignet sich etwas Neues. Das habe ich bei den Eröffnungen festgestellt. Gespräche kommen hier viel leichter zustande, auch über die Kunst.

F.M.
: Wie sind Dir die Menschen, die mit der Kirche zu tun haben, begegnet?

V.S.
: Ich stelle mich ja nur zur Verfügung, ich gehe auf keinen zu. Bisher hatte ich eigentlich nur positive Reaktionen auf das, was ich hier mache.

F.M.
: Du hast das Milieu nicht zu spüren bekommen, das Deinen Vorgänger noch so befremdet hat. Enge oder Ängstlichkeit?

V.S.
: Ich reagiere nicht darauf. Ich muß auch vieles von mir fernhalten.

F.M.
: Du bist der Erste, der den Turm künstlerisch in die Arbeit mit einbezogen hat, diesen alten romanischen Turm mit seiner seltsamen Eisenkonstruktion für die alten Glocken.

V.S.
: Der Turm hat für mich hier die stärkste Ausstrahlung überhaupt. Vielleicht weil er nicht so sehr ein sakraler Raum ist. Durch dieses funktionale Eisengerüst in dem alten Gemäuer kommt da noch ein anderer Aspekt rein, Nähe zur Industrie vielleicht. Und es kommen verschiedene Zeiten zusammen: altes und neues Arbeiten, man fühlt sich mehr in die Geschichte eingebunden. Mich hat es gereizt, daß man in den Raum ja richtig reinsteigen muß, er ist nicht direkt und bequem zugänglich. Als ich kam, hab ich mich erst mal eine Stunde hingesetzt. Dann wußte ich, daß ich mit dem Raum arbeiten will. Ich habe zuerst eine Testinstallation mit Reliefs gemacht und festgestellt, daß ich mit alten Bäckerbrettern als Objekten Elementarzeichen gebildet. Sie haben eine eindringliche Präsenz, ohne aufdringlich zu werden. Die Bretter zeigen ja auch Spuren des Gebrauchs und fügen sich gut in diesen Raum ein. Die Zusammensetzung der Elemente will ich jetzt nach und nach verändern.

F.M.
: Du hast in diesem Jahr hier in Sankt Peter zu einer ganz neuen Arbeitsweise gefunden.

V.S.
: Ja, ich zeichne mit Öl aus der Tube direkt auf Papier.

F.M.
: Und diese direkte Bearbeitungsweise hast Du hier entwickelt?

V.S.
: Ja, das hab ich hier gefunden. Angefangen hab ich mit Kohlenzeichnungen; das war´s aber nicht. Ich wollte Zeichnungen machen, wo der Strich für sich selbst steht, und keine Unterstützung durch Arbeitsspuren oder durch das Untergrundmaterial erfährt.

F.M.
: Diese neue Arbeiten leben davon, daß der Strich sicher sitzt.

V.S.
: Man kann nicht schummeln. Man kann nichts korrigieren. Der Strich muß sitzen.

F.M.
: Du hast in diesem Strich eine große Nuancierung: die Spannbreite von einer festen zu einer ganz leichten, unterbrochenen, nur noch ahnbahren Linie.

V.S.
: Liegt die Öffnung der Tube ganz auf dem Papier auf, entsteht eine gleichbleibende Linie, bei leichter Berührung variiert die Breite und Intensität. Dazu gehört Fingerspitzengefühl. Die Berührung mit dem Papier ist ja ganz direkt. Man braucht zum einen eine große Stärke der Formulierung, aber gleichzeitig auch die Sanftheit der Berührung.

F.M.
: Das Ganze kommt ganz stark aus dem Gestischen, aus einem Vertrauen auch zu den Bewegungsmechanismen?

V.S
.: Nicht so eindeutig. Eine Geste hat mir zu sehr mit Emotion zu tun. Das geht bei dieser Technik nicht, der Technik des Aus-der-Tube-Zeichnens. Da sind fast mechanische Handbewegungen notwendig, ich folge einem Impuls, wobei ich auf schon Gemachtes reagiere. Ich bewege mich schon innerhalb eines Formenbereiches. Es ist auch der Reiz, immer wieder mit Fremdem konfrontiert zu werden. Nach einer gekonnten Zeichnung, deren Systematik ich beherrsche, suche ich nach dem Unbekannten, Zufälligen. Dadurch gibt es Brüche in den Serien, manche Blätter passen zusammen, andere gehen auseinander.

F.M.
: Interessant ist bei einigen Blättern, bei den gelben Zeichnungen etwa, daß es so etwas wie eine farbliche Veränderung gibt. Wie kommt das zustande?

V.S.
: Ich habe bestimmte Gelbtöne ausgesucht, die nah an der Farbe des Papiers sind. Beim Zeichnen stelle ich fest, daß sich durch verstärken Druck das Gelb zu einem Grau oder Metallic-Ton verändert. Das geschieht durch Abreibung und Reaktion mit dem Blei der Tube, und erzeugt eine zusätzliche Räumlichkeit.

F.M
.: Hast Du diese Zeichnungen auch in anderen Farben gemacht?

V.S.
: Ja, ich habe verschiedene Farben ausprobiert, mich aber dann auf einige konsentriert, die Korrespondenz zu den großen Farbtafeln stehen

F.M
.: Die Linien bilden Figuren, Formen, Zusammenhänge. Du sagtest einmal, sie seien angesiedelt zwischen Afrika und Science-Fiction. An diesen Formen machen sich dann später die Bilder fest. Es sind Formsysteme und Ausdrucks- und Sprachsysteme. Sie sind verschieden zueinander gesetzt. Kannst Du etwas zu Deiner Formwelt sagen? Wie hat sie sich entwickelt?

V.S.
: Grundsätzlich entwickelt sich die Formensprache zuerst aus permanentem intensivem Zeichnen heraus, bis eine Festigkeit erreicht ist. Dabei interessiert nicht die Nähe zum Figurativen wie zum Zeichenhaften, das Erkunden von verschiedenen Assoziationsmöglichkeiten und dem 'Dazwischensein'. Je reduzierter diese Formensprache ist, desto mehr Möglichkeiten habe ich.

F.M
.: Man kann verschiedene Formen unterscheiden, z.B. einfach geometrische und geschwungene biomorphe...

V.S
.: Gewachsenes und Konstruiertes. Manche Bilder haben ähnliche Zeichensysteme, bei anderen herrscht chaotische Vielfalt, bildsprengende Spannung oder konzentrische Ruhe.

F.M
.: Auf den ersten Blick springt diese Formwelt nicht ins Auge. Sie braucht eine bestimmte Aufmerksamkeit und den Vorgang des Einsteigens. Man muß drauf zugehen.

V.S
.: Man muß sich ein Stück von festen Vorstellungen freimachen, und suchen, dann findet man Bilder, die man nie zu Ende sehen kann.

F.M
.: Gibt es für Dich eine letzte Idee, aus der heraus diese Zeichen fließen? Die Konzentration auf Grundformen etwa, die es in den verschiedensten Kulturen bis in deren frühe Stufen gibt und die sich dann durchhalten? Gibt es eine bestimmte Qualität von Zeichen, die Du anzielst, oder sind es einfach solche, die Du unbewußt locker machst und die dann aus Dir herausfließen?

V.S.
: Die Qualität sehe ich in der Mehrdeutigkeit und Zeitlosigkeit. Es müssen Ansatzpunkte für Möglichkeiten dasein, die stehen dann auf der Kippe zu mehreren Seiten. Beim Zeichnen fließt diese erarbeitete Sprache aus mir heraus.

F.M.
: Du vertraust offensichtlich auch diesem Fundus, aus dem sich dieses Herausfließen speist?

V.S.
: Der hat sich durch das Arbeiten selbst gebildet, durch immer stärkeres Reduzieren. Das Überflüssige verschwindet dann automatisch.

F.M
.: Ist dieser Fundus von Dir geschaffen, erarbeitet worden, oder ist er kollektiv drin? Steckt er kollektiv verteilt in unser aller Unbewußtem?

V.S
.: Den gibt es überall, in der Natur, allen Darstellungssystemen, und in allen Zeiten.

F.M.
: Die Zeichnung ist das Grundelement Deiner Arbeit. Sie kommt praktisch durch diese fast täglichen Übungen und Exerzitien zu sich selbst. Mit diesen Formungen gehst Du dann über zur Malerei?

V.S.
: Es ist die Frage, ob es Malerei ist. Es sind verschiedene Elemente, Zeichnung, Farbe, Objekt, Installation, Verschiedene Dinge sind zueinander in Beziehung gesetzt.

F.M.
: Wie arbeitest Du in der Malerei, nimmst Du eine Leinwand...?

V.S.
: Ich nehme die farbige Leinwand, und fange an irgendeiner ecke an zu zeichnen. Die Arbeiten sind oft sehr groß, so ergibt es sich, daß ich sie beim Zeichnen drehen muß. Da gibt es aber kein Oben oder Unten, die Zeichen fliegen durch den Bildraum.

F.M.
: Dann kommt der nächste Schritt, wo Du die Zeichnung wieder zurücknimmst, in dem Du sie mit derselben Farbe überrollst.

V.S.
: Mit der Malerrolle nehme ich sie teilweise wieder zurück, die Farbe gestalte ich willkürlich aus unterschiedlichen Mischungen von Pigment, Wasser und Acryl. Das variiert dann von einer ganz transparenten Farbe bis hin zum Pastosen. Beim Überrollen wird durch das Abheben der Kreide-Pigmente die Farbe aufgehellt und erhält so malerische Qualitäten.

F.M.
: In die anarchische Unordnung Form reinbringen, sie neu ordnen und andere Schwerpunkte setzen?

V.S.
: Die erste Bearbeitung wird nochmals entfremdet, verändert, so daß die Zeichnen ganz anders zusammenkommen. Das ist ganz wichtig.

F.M.
: Unterschiedliche Elemente, die übrig bleiben, gehen neue Beziehungen ein?

V.S.
: Bei manchen Arbeiten gehen die Zeichnungen fast ganz weg, da sind sie nur noch in Andeutungen sichtbar. Doch teilweise entwickelt sich diese überrollte Zeichnung wieder hervor. Die weißen Farbpartikel arbeiten je nach dem Acryl- oder Pigmentanteil weiter. So kann es sein, daß sich manche Bilder nach zwei oder drei Monaten immer noch verändern und doch noch stimmig sind.

F.M.
: Für diesen Entwicklungsprozeß hast Du ja eine gewisse Erfahrung, so daß Du sie auch in gewisser Weise einschätzen und kalkulieren kannst?

V.S.
: Ich mußte mich langsam an dieses Material herantasten. Es war für mich eine unbekannte Technik und nicht abzusehen, wie die Materialien miteinander funktionieren.

F.M.
: Ein weiteres Charakteristikum Deiner Arbeiten besteht darin, daß Du einer Form, einem Bild ein anderes hinzusetzt. So bekommt ein schwarzes Bild eine Definition durch ein blaues Element, das Du daneben oder darüber setzt.

V.S.
: Es ist für mich die Erweiterung des Systems, Bildelemente stehen in unterschiedlichen räumlichen Beziehungen zueinander, und bilden wieder neue Zeichen.

F.M.
: Das Ganze ist ja ein dialektischer Vorgang im ständigen Interagieren von Setzen, Wieder-wegnehmen, Neu-setzen, usw., also diese Spannung zwischen Ja-sagen und Nein- sagen, von Kreieren und Töten?

V.S.
: Für mich sind dies Polaritäten, zwischen denen ich mich bewege, Zeichnung in ganz klarer Präsenz steht neben subtiler Stofflichkeit der Farbe, hinzugeben / wegnehmen, Ursprung / Verarbeitung, die Zeit dazwischen.

F.M.
: Die Raison, aus der diese Arbeiten stammen, ersteht sich offensichtlich als ein geistig-logischer Raum für die Betrachtung und setzt die 'Weiterspinnereien' in Gang, die dann vom Bild anheben und den Betrachter um sich selbst konzentrieren lassen?

V.S.
: Ich bin selbst gespannt auf das, was sie alles auslösen. Jeder ist dabei auf sich selbst zurückgeworfen.

F.M.
: Aber jetzt erhalten die Bilder eine zusätzliche Stimmung durch den Ausstellungsraum, durch die gotische Kirchenarchitektur. Eine weitere Hinzufügung zu den Bildern, die diese erneut definiert.

V.S.
: Der Betrachter hat einen anderen Bezug dazu als in einem neutralen Ausstellungsraum. Was hier meinen Arbeiten guttut, ist die Atmosphäre, einen Kirchenraum zu haben, der Konzentration provoziert.

F.M.
: Könntest Du Dir vorstellen, daß eines Deiner Bilder einmal über einem Alter hängt?

V.S.
: Dazu hab ich mir schon Gedanken gemacht. Ich glaube schon, daß das ginge.

F.M.
: Ein Triptychon setzt einen bestimmten Aufbau voraus. Jede Form mußte in sich zentriert sein, dazu die Dreierform auf die Mitte hin. Ist das für Dich nicht eine zu starke Vorgabe? Könntest Du Dich überhaupt auf ein Triptychon als Bildidee einlassen?

V.S.
: Die Installationen, die ich jetzt mache, bestehen auch solchen Elementen. Ich habe ja auch schon dreiteilige Arbeiten gemacht. Das ist für mich nichts Neues.

F.M.
: Es wäre also kein Aufbruch in ein unbekanntes Land. Die Interpretationen kämen erst dann in Gang wenn das Bild hingehängt würde.

V.S.
: Ich freue mich darauf.