Volker Saul

Miriam Hübner:Wandmalerei

In: Grafische Betrieb Bacht, Essen (Hrsg.): Volker Saul Mixes and Remixes. Rheinisches LandesMuseum. Bonn 2005.

In einem zweiten, den Zeichnungen nachgeschalteten Prozess nun transformiert Volker Saul seine Zeichnungen in die raumgreifenden Wandmalereien seiner monumentalen „Remixes“. Vom kräftig-leuchtenden Farbbad der monochrom gefassten Wände energetisch aufgeladen, entstehen erneut bizarre Körper von nun geradezu haptischer Qualität.
Er verwendet dabei die in den Zeichnungen gefundenen Formen wieder, doch zerlegt er diese in einzelne Bestandteile – Linienstücke gewissermaßen – und baut sie anschließend – wie schon die Zeichnungen – dem Gesetz des „gesteuerten Zufalls“. Volker Saul arrangiert kein Element der Wandmalereien nach einem vorher festgelegten Bauplan, sondern das Prozessuale der Synthese ist das eigentliche Werk: das Zusammenbauen und dabei Entstehen-Sehen. Ein stückweiter Wiedererkennungseffekt nach dem Prinzip eines abstrakten Memory-Spieles ist zwar beabsichtigt, doch steckt der Reiz für Volker Saul darin, das konkret identifizierbare Assoziationspotential möglichst gering zu halten.
Dieses Spiel mit dem Wiedererkennungseffekt ist jedoch weit mehr als nur das Bindeglied zwischen den Modulen der Zeichnungen und der Malereien: In ihm verbirgt sich das Prinzip, das System, das die (aktuelle) Schaffenswelt von Volker Saul „im Innersten zusammenhält“.
Wir werden Zeugen einer heiteren Evolution, die unendliche Reihen von Varianten und Mutationen, niemals aber stereotype Wiederholungen hervorbringt: Keimzellen, vollgesogen mit satter Farbigkeit, scheint man ihn ihrem explodierenden Werden und welkenden Vergehen beobachten zu können wie emsig wimmelnde Existenzen in der dreidimensionalen Aufnahme eines Rasterelektronenmikroskops. Im nächsten Moment fühlt man sich auch an ein überdimensionales Kaleidoskop, an Wesen aus der Comic-Welt und vieles mehr erinnert. Das Gehirn meldet die wildesten Assoziationen – weil es muss: Ganz automatisch sucht es den Sinn der vorgefundenen, visuellen Information zu entschlüsseln.
Sowohl die naturwissenschaftlichen Assoziationen als auch die Anklänge an Kaleidoskope oder Comics stellen sich nicht zuletzt wegen der neuerlichen Perfektion und Präzision ein, mit der Volker Saul seine Gebilde scherenschnittartig aus dem Farbmeer seziert, während die Umgebung großzügig monochrom gefasst wird. Auch hier verlässt Volker Saul die herkömmlichen künstlerischen Techniken, ja selbst die Gattung als solche: „Es
sind verschiedene Elemente: Zeichnung, Malerei, Installation. Verschiedene Dinge sind zueinander in Beziehung gesetzt.“
Er spielt mit der Symbiose von ästhetisch-minimalistischen Liniengebilden und der suggestiven Wirkung monumentaler Farbflächen, scheidet gewissermaßen ein „Außen“ von einem „Innen“. Die Körper tanzen und taumeln in dem nur über die Farbe definierten Raum, sind scheinbar in der Lage, sich wider alle perspektivischen Gesetze aus der Raumflucht herauszudrehen. Die geradezu haptische Plastizität suggeriert Volker Saul allein durch vereinzelte, kleine Schraffuren in den scharfen Konturen, ohne jegliches Modellieren mit Licht oder Schatten.
An diesen Konturen konkurrieren die von Volker Saul jeweils zusammengestellten Farbkonstellationen. In der optischen Wahrnehmung mischt das Auge die – allerdings nur zum Teil komplementären – Farbwerte: Die weiße Linie zwischen einem schwarzen und einem roten Feld erscheint grünlich, eine schwarze Linie zwischen einem weißen und einem grünen Farbfeld erscheint rötlich. Zudem kann das menschliche Auge die klaren Trennlinien nie ohne ein gewisses, Flimmern betrachten. Volker Saul verstärkt dieses Vibrieren durch den Einsatz von besonders harten Kontrastfarben: Auf Schwarz etwa folgt grelles Gelb, auf Rot ein blendendes Weiß. Regeln gibt es dabei keine – die Positiv- und Negativensembles von Volker Saul werden dabei lediglich aus einem konsequenten Dreiklang zusammengesetzt, der eine oder zwei Buntfarben mit Weiß oder Schwarz kombiniert.
Mittels dieses simplen Farbschemas ist Volker Saul in der Lage, verschiedene Erscheinungsformen dieser Zellgebilde entstehen zu lassen: Einmal erstrahlt der Nukleus im unberührten Weiß oder ballt sich in pulsierendem Schwarz, während sich jenseits seiner flirrenden Zellwände ein wahrer Ozean aus plakativem Gelb, Rot, Orange oder Grün erstreckt. Im umgekehrten Fall glüht der knallbunte „Zellkern“ in wandweißer Umgebung.
Das überzeugende Modulprinzip kommt ohne Verständnisbarrieren zwischen Künstler und Betrachter aus. Das macht die Kunst von Volker Saul so einladend und unmittelbar.