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Während
der vergangenen fünf Jahre verfolgte Volker Saul mit seiner Kunst
einen unbeirrbaren Weg der Simplifikation und Reduktion: Von All-Over-Paintings
mit automatischen Zeichnungen auf weiten Farbflächen bis hin zur
Isolation und Magnifikation individueller Zeichen als unabhängige
Formen, entweder unmittelbar an die Wand gemalt oder mittelbar, in Form
von aus Holz ausgeschnittenen, eigenwillig geformten, monochromen Tafeln.
Sauls neueste Arbeit (ich zögere ein wenig, es eine Apotheose zu
nennen, denn wann immer ich ihn in seinem Atelier besuchte, schien es
mir, als habe er gerade ein neues künstlerisches Paradigma erreicht
und ich bin mir sicher, er wird mich beim nächsten Mal nicht enttäuschen)
ist, so könnte man sagen, eine mögliche Kulmination (gewiß
gibt es auch andere) von fünf Jahren hingebungsvollen Experimentierens.
In Sauls jüngsten Arbeiten ist die Farbe vollständig eliminiert
worden, achromatische Gemälde also wobei Weiß schließlich
eine Unfarbe ist, beziehungsweise alle Farben des Spektrums in sich vereint:
Wissenschaftlich betrachtet wird Weiß durch die Reflexion aller
farbgebenden Strahlen erzeugt. Sauls Gebrauch von Weiß als eine
neutrale Farbe für seine geformten Tafeln legt
vom Prinzip her gesehen viel größere Betonung auf die
Form an sich, welche ihrerseits somit noch einmal komplexer wurde mit
ihrer Myriade von Ecken und Bögen. Wenn Weiß dazu benutzt wird,
werk-externe Assoziationen und Interpretationen auszuschließen,
(wobei man argumentieren kann, daß Weiß ebenso assoziativ
ist wie jede andere Farbe, z.B. als Symbol etwa für Reinheit, Gutheit,
Jungfräulichkeit und vieles andere mehr) dann eröffnet die komplexe
Formgebung seiner Arbeit ein nahezu unübersehbares Spektrum von Assoziations-
und Interpretationsmöglichkeiten. Das traditionelle Ziel des Minimalismus
nämlich Kunst auf das Essentielle zu reduzieren und metaphorische
Interpretationen zu verweigern ist möglicherweise de facto
unerreichbar, da schließlich jede Interpretation subjektiv ist (Objektivität
ist schließlich ein modernistisches Märchen). Ganz besonders
dann, wenn, wie am Beispiel des Post-Modernismus, dem Betrachter seine
individuelle Autonomie gewährt wird und sich somit eine reziproke
Abhängigkeit zwischen Betrachter und dem Betrachteten entwickelt.
Der Künstler setzt seine Arbeit innerhalb des Spannungsfeldes zwischen
Ordnung und Chaos fort, wobei letzteres ausdrücklich nicht als ein
Negativum im metaphorischen Sinne verstanden werden darf, sondern eher
im Sinne der jüngsten Chaostheorie und forschung, die zu weiten
Teilen auf Benoit Mandelbrots Konzept des Fraktalen beruht.
Nach John Briggs und F.David Peat: Das künstliche Wort ist
vom lateinischen frangere abgeleitet, das brechen
bedeutet. Auch die Anklänge an gebrochene Zahlen und
an die Unregelmäßigkeit von Fragmenten bestimmten
Mandelbrots Wortwahl. Das Fraktale bei Mandelbrot ist die Grundlage
einer neuen Geometrie, die in den vergangenen 30 Jahren in der Lage war,
alle Felder der wissenschaftlichen und der kreativen Aktivität zu
beeinflussen. Fraktale sind bei der Beschreibung der (regulären)
Irregularität der realen Welt dienlich, etwa bei der Erklärung
des Verlaufes der Linien von Küsten und Wolken, von Flüssen
und menschlichen Zirkulationssystemen, von Polymeren und Galaxien. Was
zunächst unregelmäßig und chaotisch scheint, ist de facto
das Ergebnis dessen, was Mandelbrot Selbstähnlichkeit
nennt. Gemeint ist damit die Wiederholung des Details auf immer
kleineren Skalen.
So wie diese Naturphänomene können auch Sauls Formen im Sinne
der fraktalen Geometrie betrachtet und verstanden werden. Sie sind das
Resultat von hunderten, wenn nicht gar von tausenden kleiner Zeichnungen
und Skizzen. Würdige Formen werden aussortiert, isoliert
und vergrößert. Was auf den ersten Blick eine einzigartige,
zufällige Form zu sein scheint, enthüllt sich alsbald, im Kontext
betrachtet, als Teil eines Kontinuums, als nur eine von einer scheinbar
unbegrenzten Anzahl ähnlicher Formen. Teile bestimmter Formen reflektieren
das Ganze der Form an sich, sowie jede einzelne Form das Konglomerat der
Formen reflektiert, die diese Ausstellung ausmachen.
Der konstante Fluß zwischen Teil und Ganzem, zwischen Form und Anti-Form,
zwischen Chaos und Ordnung wird auch weiterhin Volker Sauls Kunst bestimmen.
Minimalistisch einerseits, in seiner strikten Reduktion von Form und Farbe,
ist er doch gleichzeitig auch Maximalist durch seine barocken Elemente
und seine Offenheit in Bezug auf die Autonomie des Betrachters. Wenn die
Rigidität der Minimalisten der 60er Jahre eine allgemeine Angst vor
dem unmittelbar bevorstehenden Tod der Malerei auslöste,
dann demonstriert Volker Saul deutlich, daß die Malerei immer wieder
neu geboren wird.
Übersetzung
aus dem Amerikanischen
Andreas Frisch, Köln.
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