Annebarbe Kau |
Christoph Schenker : A DRAWING |
In: Katalog" Annebarbe Kau", Akademie Schloss Solitude Stuttgart 1993, S. 24 - 35 |
Die
Grundursache eines Kunstwerkes, heißt es bei Paul Valèry,
sei ein Wunsch, daß darüber gesprochen werden möge. Das
Werk vermittelt in sich gewissermaßen immer auch das Bedürfnis
nach einer irgendwie gearteten Notwendigkeit ästhetischer Urteile. Es
sind dies die Bereiche des eigentilich Ästhetischen. Damit ist dasjenige
bedeutet, was als Kunstwerk über sein Sagbares und das Literarische
in ihm hinaus Ereignis für die Sinne ist. In diesem wird,
als dem einen Element des Werks, das Undenkbare sinnlich erfahrbar - es
gibt zu denken Anlaß, im Unterschied zum anderen Teil, der Vermittlung
von Gedanken ist. Da
sind Künstlerinnen und Künstler, die, in der Folge ihres Interesses,
mehr das eine, und solche, die mehr das andere Element ausarbeiten. Annebarbe
Kau, so scheint mir, gilt die Form, die nach einem Gehalte verlangt, mehr
als die Idee, die nach einer Form verlangt. Ihr Werk zeugt zwar von einem
Charakter, der fast unterschiedlos zwischen der Form und dem Inhalt, dem
Inhalt und der Form hin und her geht. Dennoch aber zwingt es uns dabei
zur Perspektive auf seine Form-die Form, die wir hier als die Gesamtheit
der Raum-, Zeit-, Farb-, Temperatur-, und Tonverhältnisse verstehen,
als eine Welt von irreduziblen Beziehungen, die die grundlegend ästhetischen
Effekte hervorbringen. Im
Zusammenhang der rein praktischen Welt ist dieses Unaussprechbare ein
Ausnahmezustand, doch bildet es, zur Erweiterung, Entwicklung und Verfeinerung
fähig, die Substanz des Kunstwerks. Vielleicht
unterscheidet sich ein tiefes Kunstwerk von einem cleveren
Werk dadurch, daß es nicht gescheite Ideen illustr iert, sondern
den erfahrbaren Hintergrund gibt, auf dem jene sich entwickeln und zu
Bedeutung gelangen können. Als ein Werk, das nicht (etwas) ausspricht,
sondern (sich) zeigt, ist es uns ein Erlebnis sprachbefreiter Wahrnehmung. Man
hat gesagt, das Werk von Annebarbe Kau sei poetisch. Wohl will damit unter
anderem festgestellt sein, daß in ihren Videofilmen gewisse Bildsequenzen
und Bewegungen in dem verhältnismäßig ruhigen Verlauf
sich nicht diskursiv, sondern assoziativ folgen, so daß die unmittelbare
Einsicht des Verstandes in einen dennoch möglichen, wie auch immer
gearteten gegebenen Zusammenhang verwehrt bleibt und daher die spekulative
Vorstellungskraft zu freien Verknüpfungen provoziert wird. Wir
dürfen davon ausgehen, daß ein Werk der Kunst das Wissen verkörpert,
daß es das können wiederspiegelt und daß es dem Willen
des Künstlers, der Künstlerin entspricht. Die scheinbare Unordnung
einer Arbeit - ob es sich, wie hier, um die zeitliche Folge von unabhängigen
Monitorbildern oder um das nicht nachvollziehbare Gefüge von Zeichnungsblättern
auf einer Wandfläche handelt - ist eine geschaffene Komposition.
Der Anlaß für unser ästhetisches Interesse ist diese uns
hier und jetzt gegebene Anordnung. Es ist das Eigentümliche der Kunsterfahrung,
daß mögliche Vorstellungsbilder, Organempfindungen, Emotionen
oder Bedeutungen stets an das spezifisch geordnete Material und an den
Gebrach, den man von ihm macht, gebunden bleiben. Eine ästhetische
Wirkung ist nicht trennbar von dem, was sich in seiner stofflichen Besonderheit
unseren Sinnen zeigt. Bei unverändertem sensuellem Eindruck eines
Kunstwerks bleibt der Effekt dennoch ein stets aktualer und das ästhetische
Erlebnis ein singuläres. Annebarbe
Kau ist eine Ingenieurin der Sinnesempfindungen. Sie analysiert die Verwobenheit
der Sinnesempfindungen, die als natürliche Tatsache erfahren wird
- sie löst sie auf, vereinzelt die Empfindungen oder setzt sie anders
und in der Weise neu zusammen, daß deutlich wird: nicht, wie sie
zusammengehören, sondern wie sie als zusammengehörig erlebt
werden. Im Lebenszusammenhang ist die Wahrnehmung - das Lesen etwa, das
Anschauen, das Hinhören - eine im Grundsätzlichen bedingte und
zweckorientierte Tätigkeit; die Sinnesempfindungen haben mit ihr
als solcher nur insofern etwas zu tun, als sie in jene Verkettung von
Ursache und Wirkung passen. Im
Videofilm, im Raum - Video - Klang - Werk und in der Zeichnung von Annebarbe
Kau lassen sich entscheidende Erscheinungen nicht verwertend wahrnehmen.
Die Aufeinanderfolge, die Überlagerung, die Isolation und die Manipulation
dieser Erscheinungen sind unbestimmt und regelwidrig. Wir können
mit ihnen nichts Nutzbringendes, nichts Zweckmäßiges, nichts
Sinnvolles anfangen. Doch wir werden dadurch instand gesetzt, in der Empfindung
zu verweilen und darin das wahrhaftige Sein des Erlebens einzufangen,
quasi ein zugleich glückhaftes wie erschreckendes Leben unbegreif
- licher Ordnung zu leben. Das ist, in der Tat, ein ungeheures Ding. Die
Erschütterung hat ihren Grund darin, daß wir nicht in Gedanken
zu fassen vermögen, was es denn genau ist, das uns hier bewegt, und
vor allem: warum es denn auf uns einen großen Eindruck macht. Man
lenke die Aufmersamkeit auf die eigenen Sinnesempfindungen, etwa, wenn
im Videoband Bild und Ton wohl zusammen vorkommen, doch nicht verknüpft
erscheinen, wenn die Bewegungen im Bilde oder die des Tones verlangsamt
sich ereignen oder verzögert sich einstellen, wenn die verschiedenen
Tonfolgen sich überlagern, wenn einmal die Zeit an den Wiederholungen
von Vorkommnissen sich mißt, andermals sie als ereignislose Zeit
der Erwartung soch ausbereitet, das Ereignis selber aber geschehen ist,
ehe man sich's versieht. Man vergewissere sich der Empfindungen in einer
Video - Installation, da einerseits das Licht des Monitors, anderseits
das Geräusch aus Lautsprechern, zum dritten die Bewegung meines Körpers
den Raum definieren. Man achte auf den Unterschied zwischen der Empfindung
des Farblichts, das aus dem Monitor als Zeichnung strahlt, und der Empfindung
des Lichts, das vom weißen Papierblatt als Lichtgrund und von der
Aufgetragenen Farbe der Zeichnung zurückstrahlt. Man achte Auf die
Empfindung der Bewegung, die mein Auge macht, wenn es der gezeichneten
Linie folgt und auf die Empfindung der Bewegung, die die Kamara macht,
indem sie eine Linie in die Luft zeichnet. Die
Zeichnung von Annebarbe Kau gehört keinem graphischen Code an. Sie
ist, im allgemeinen, nicht Ausdruck, nicht Abbild, nicht Schrift, noch
Diagramm, Partitur oder Choreographie. Ihre Lesbarkeit bleibt unscharf.
Ist sie ein Produkt oder der Anlaß für eine Produktion? Da
der graphische Code unbestimmt ist, bleibt die Sinnesempfindung in der
Schwebe, sie wird gleichsam angehalten. So tritt in Selbsttätigkeit
hervor, was als Bedingung des Orientierens in der Welt üblicherweise
unbemerkt ist. Doch
wie sieht denn hier eine ästhetische Reaktion aus? Ist sie ein stummes
Staunen ( das ein an die Wahrnehmung gebundenes Denken ist)? Ist sie ein
Ausruf der Zufriedenheit und Zustimmung? Eine Geste, die ein Begreifen
ausdrückt? Ein Hinweisendes Wort, das vergleicht? Ein Text, der erklärt?
Ein Tanz, der deutet? Wie das Ästhetische nicht der Bereich des Sagbaren ist - gesagt wird, was ist und was es bedeutet - , sondern der Bereich dessen, was sich zeigt - etwas zeigt, daß es ist - , so ist die Ästhetik nicht eine Angelegenheit des Sprechens, sondern - vergleichbar der Ethik - eine Sache des Handelns. Die Antwort auf das Werk und das Urteil sind in eins der Gebrauch, den wir von ihm machen. |