"Les
couleurs déposent leur poids et pensent et pensent ou crient et
restent..."
Tristan Tzara L'homme approximatif. 1925-30
Der
bildende Künstler als Bühnenbilder, dies ist spätestens
seit den Gesamtkunstwerksphantasien eines Richard Wagner keine Ausnahmeerscheinung
mehr. In fast jeder Epoche der modernen Musik und der avantgardischen
Kunst lassen sich Beispiele für eine Zusammenarbeit von Autoren,
Musikern, Regisseuren, Darstellern und Künstlern finden. Man denke
nur an die dadaistischen Abende, die konstruktivistischen Manifestationen,
die Soirées von Yves Klein, ode an die Bühenbilder, die Künstler
wie Jean Costeau, Pablo Picasso oder gar Gerhard Merz entwarfen.
Die erste Bühnenarbeit Annebarbe Kaus "Q.E.D.", die 1991
mit dem Tänzer Keith Ormand und dem Musiker David Smeyers aufgeführt
wurde, stand ganz im Zeichen einer unmittlelbaren Zusammenarbeit. Die
Arbeitssituation verlangte und ermöglichte eine Abstimmung der Partner,
wobei die improvisierende Interaktion zwischen Musiker und Tänzer,
durch die Positionierung der im Bühnenraum installierten Monitore
optische Wegmarken enthielt. Die Monitore bilden durch ihr Ruhigstehen
Fixpunkte, die der Tänzer respektieren muß. Er kommuniziert
mit ihnen und sich selbst über die Videobänder, welche Bewegungsfragmente
Keith Ormands zeigen. Schon in dieser ersten Bühnenarbeit überwand
Annebarbe Kau eine der Merkmale der meisten Kooperationen von Theaterleuten
und bildenen Künstlern, nämlich daß die Objekte der Künstler
zwar "Werk" sind, aber dennoch Kulisse bleiben.
Und genau hier setzt die zweite Bühnenarbeit Annebarbe Kaus ein,
die sie zu dem 1961 von Bernd Alois Zimmermann komponierten, fünfsätzigen
Stück "Présence" konzipierte. Obwohl der Bühnenaufbau
vier im Bereich der Bühne gestaffelt plazierte "Vorgänge"
sogleich den Begriff Kulisse evoziert, wird dieser Eindruck sofort korrigiert
spätestens, wenn das Musikertrio seinen Platz eingenommen hat. Offensichtlich
bilden diese das fünfte Element; das rechnerische Gleichgewicht zwischen
Satzfolge und "Bilderzahl" ist hergestellt. Und daraus folgt
ein weiterer Aspekt des Gesamtaufbaus: So wie die Musiker Ausführende
und Interpreten einer akustischen Komposition sind (und ihren traditionellen
Ort im Orchestergraben haben), sind die Leinwände wohl Träger
eines visuellen Ereignisses. Das Eigentliche ist dann jenes Geschehen,
welches gehört und gesehen wird. Die scheinbare Kulisse ist dann
Akteur.
Nun kann sich auf der Grundlage des eben Dargestellten eine Videoinszenierung
entfalten, die diese Beziehung angemessen umsetzt. Denn es handelt sich
kaum um ein Bühnenbild, sondern um eine ganzheitliche Präsentation
eines optisch akustischen Werkes, wie ein Vergleich mit der ursprünglichen
Aufführungssituation des Stückes "Présence"
ergibt. Annebarbe Kau verzichtet in ihrer Inszenierung auf die verbale
Dramtisierung oder Akzentuierung der Satzfolge, die Zimmermann noch vorgab.
Damit vermeidet sich sowohl das Zitat des entstehungsgeschichtlichen Zusammenhangs
der Komposition als auch die sich daraus ergebene Notwendigkeit, Sprechrollen
beziehungsweise Darsteller in ihrer Aktualisierung des Musikwerkes zu
intergrieren. Denn gerade indem sie die literarischen Konnotationen vernachlässigt
und wer wüßte nicht, daß James Joyce, Alfred Jerry und
der "Ritter von der traurigen Gestalt" Leitmotive der frühen
60er waren? ermöglicht die Künstlerin dem Publikum einen jetztzeitigen
Zugang zu den formalen Qualitäten der Komposition. Und so dient sie
dem Verständnis des Stückes mehr als wenn sie eine Aufführingstradition
illustrativ bedient hätte.
Dieser "Glücksfall" mag darin begründet liegen, daß
es sich hier kaum um einen direkte Zusammenarbeit zwischen einem Komponisten
und einem Künstler handelt. Annebarbe Kau konnte das musikalische
Werk als Arbeitsmaterial sehen, dessen Strukturen und Charakterzüge
freigelegt, von den 60ern in die 90er transportiert werden sollten.
Sie selbst betont diesen Aspekt, indem sie das zentrale literarische Zitat
der Vorlage, den auffrührerischen Schrei des Ubu Roi "MERDRE"
in der dritten Szene als exklamatorische Buchstabenfolge visualisiert.
Bei Zimmermann als Zeichen eines Befreiungsschlages von musikalischen
Zitaten, literarischen Verweisen und kompositorischen Wahlverwandtschaften
eingesetzt, wird dieses geflügelte Wort in der aktuellen Inszenierung
zum Emblem der Verschränkung von Gegenwart und Vergangenheit: Es
bildet die entscheidene Gelenkstelle im optischakustischem Gesamtgefüge,
denn genau hier schweigt die Musik und der Bilderfluß ruht; alles
ist Moment!
Die Synchronisation des entscheidenen Augenblicks ist die geistige Voraussetzung
für die gestaltende Freiheit, die Annebarbe Kau in der Videoinszenierung
anwendet und beweist. Wie bei jedem prozeßheftem Werk, das sich
zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort ereignet, kann man
auch bei dieser Aufführing erst nach dem Ende den Anfang erkennen
und von da an den Faden des Begreifens aufrollen.
Die Künstlerin zeigt in ihrer vierteiligen Videoprojektion in Anlehnung
an den Untertitel des Musikstückes "Ballet blanc" eine
Farbbewegung von Schwarz nach Weiß, von Dunkel nach Hell, von der
absoluten Verdichtung von Farbe zur ebenso absoluten Leichtigkeit von
Farbe, die assoziativ durchaus als Unbelastetsein gedeutet werden kann.
Unter Berücksichtigung des von der Videotechnik vorgegebenen Farbprozessors
"RGB" (Rot, Grün, Blau), der auf drei Leinwänden thematisiert
wird, gelangt sie durch die doppelte Bewegung der vierten "Lichtwand"
auch hier zur Grundzahl der Komposition, der Fünf.
Ansonsten findet sich wenig mathematisches Kalkül, eher eine intuitivspielerische
Annäherung an die gegebene Aufgabenstellung. Parallel zur Musik,
deren Rhythmus Akzentsetzung und Zeitmaß vom visuellen Geschehen
teils begleitet, teils kontrapunktisch betont, teils kommentiert oderauch
fast synkopiert wird, entwickelt Annebarbe Kau eine Farbhandlung, einen
räumlichen Spannungsbogen, der eine konsequente Fortsetzung ihrer
"freien" Videoinstallationen ist. So erleben wir ab der Schwarzphase
im ersten Satz die aufeinanderfolgende Vorstellung der "Akteure",
der drei genannten Farben: als Ding, als Fläche, als manipuliertes
Bild und gar als Zitat der Anthropometrien eines Yves Klein. Im Verlaufe
der Aufführung werden die Farben immer selbstbewußter, sie
versuchen sich einen Platz zu erobern, sich auszudehnen, zu überlagern
bis sie letztlich im Weiß ihre Erfüllung und Auflösung
erfahren.
Indem die Künstlerin die benutzten Elemente auf wesentliche Komponenten
reduziert, die in vielfältigen Kombinationen im Wortsinn "erscheinen",
erlaubt sie eine Konzentration der Augen und Hörsinne der Teilnehmenden,
die wir sind, auf die wesentlichen Momente und Kontraste des Geschehens:
Laut/Leise, Dynamik/Stillstand, Offenheit/Hermetik, Bunt/Unbunt, Wiederholung/Abwechslung...
Und nicht zuletzt erzeugt sie auf der visuellen Ebene etwas, was im Allgemeinen
der Musik per se zugesprochen wird: Transparenz und Schwerelosigkeit.
So gelangt die Künstlerin, indem sie die eigenständigen Qualitäten
der von ihr gestalteten Hintergrundprojektionen betont, indem sie ihre
eigene Zeit gegen jene des Komponisten verteidigt, indem sie wie
sonst auch eigentlich kaum inszeniert, sondern das der Technik
Eigentümliche und den alltäglichen Gegenstand oder die verfügbare
Bildsituation miteinander verschränkt, zu einem Ineinander von Ton
und Licht, zu einer semantischen Pointierung der strukturellen Bedingungen
beider Kompositionsformen, deren authentischste Eigenschaft wohl ist,
daß sie immer und überall ausschließlich den Augenblick,
den Moment des Hörens präsentieren.
Und diese Gegenwärtigkeit, deren Aufspüren und Fühlen des
einzigen Momentes, in dem so etwas Unglaubliches wie die Konstruktion
einer Einheit von Zeit, Raum, Erleben und Denken geschieht, dieses fast
romantische Feiern einer punktuellen Gegenwart transzendiert wenn
auch nur für diesen Augenblick wahrhaft das Zeitnetz, in dem
wir zugleich als Spinne und Fliege sitzen.
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