Annebarbe Kau
Sabine Müller: "Annebarbe Kau: Berührungen".
In: Zeitschrift für Frauen und Kirche „frauen unterwegs“, Juni 01, S. 13.
 
 
Die Petrikirche ist ein kühler gotischer Hallenbau und liegt mitten in der belebten Dortmunder City. Auf Betreiben der Initiative „Kunst in St. Petri“ finden hier seit 1992 Ausstellungen statt. Die Kölner Künstlerin Annebarbe Kau setzt gerade an dieser Schnittstelle zwischen städtischer Zerstreuung und kirchlichem Pathos auf das Individuum, auf den ganz persönlichen Bereich eigener Erfahrung und eigenen Erlebens.

Vogelgezwitscher, das Geräusch eines hüpfenden Pingpongballs, Hände, die über einen Gegenstand streichen: es sind Geräusche und Bilder von vertrauten Dingen, die den Besucherlnnen hier in der Kirche eher unerwartet begegnen. Annebarbe Kau hat die Elemente der Ausstellung, drei Videoinstallationen und eine Klanginstallation, eigens für diesen Ort geschaffen.

Bei den Videobildern spielen ein und dasselbe Paar Hände die Hauptrolle. Einmal sehen wir diese Hände auf einen Sockel projiziert, auf dem normalerweise eine Statue des Apostels Paulus steht. Die Hände scheinen über den Stein zu streichen; ihr warmer Farbton, ihre Weichheit beleben den kalten Stein. Wo sich vorher eine Heiligenstatue als Stellvertreter einer wirklichen Person befand, ist jetzt ein elektronisches Bild zu sehen, das ebenso vorgibt, die Wirklichkeit dazustellen.

Im Gegensatz zu dieser räumlich eng begrenzten Situation – der Steinsockel befindet sich direkt „vor unserer Nase“, in Augenhöhe und kann nur bei näherem Herantreten betrachtet werden – begegnen uns die beiden Hände ein paar Schritte weiter in Großaufnahme.

Es sind wahre Riesenhände, die aus dem Nichts aufzutauchen scheinen, in unregelmäßigen Abständen aufeinanderschlagen, wieder verschwinden, auftauchen, aneinander reiben, wieder verschwinden. Die Tatsache, dass es keinen Ton gibt, also die mit dieser Handlung verknüpfte Erwartung klatschender oder reibender Geräusche gerade nicht eingelöst wird, verstärkt noch den bedrohlichen Eindruck. Unter der ungewöhnlichen Perspektive wird das eigentlich harmlose Geschehen zum Ausdruck grenzenüberschreitender Willkür, die in den Raum eingreift und dessen Ausmaße spielzeughaft zusammenschrumpfen lässt.

Auch bei der dritten Videoarbeit wurden die Statuen von ihren Sockeln genommen, aber diesmal gegen einen kleinen Fernsehmonitor eigetauscht. Das könnte zunächst als ironischer Kommentar zur Rolle des Fernsehgerätes als modernem Kultgegenstand aufgefasst werden. Aber die ausgestrahlten Bilder sind für Fernsehbilder ganz untypisch. Die Kamera konzentriert sich in sehr ruhigen Einstellungen immer nur auf dieses Paar Hände. Was nun bei aller Eindringlichkeit im Vergleich zu den vorigen Arbeiten auffällt, ist der durch den Fernsehkasten hergestellte Abstand zwischen Bild und Betrachterln. Gegenüber der freien Projektion auf Sockel- und Wandflächen wirken die Hände im Monitor wie eingesperrt.

Annebarbe Kaus Arbeiten handeln von den Sinnen, vom Sehen, Tasten, Fühlen, aber auch vom Hören. Die Aufmerksamkeit für die akustische Wahrnehmung wird erhöht, indem das Bild vom Ton getrennt wird. Auch in der Klanginstallation spielt die bildhafte Gestalt eine Rolle. Durch ihre ausgeprägte skulpturale Form gibt sie den Tönen einen räumlichen Bezug, so dass sich die leisen Töne, ein kurzes Kinderlachen, Vogelgezwitscher, der hüpfende Pingpongball nicht in der Weite des Kirchenraums verlieren, sondern die Besucherln wie warme Sendboten der Erinnerung berühren.