Annebarbe Kau

Ein Text von Jean-Baptiste Joly

In: kryptisch, hrsg.vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe und Akademie Schloß Solitude Stuttgart,
1993, S. 8-12.
 

Abend, am Steuer sitzend, nimmt der Autofahrer die Lichter der Stadt wahr: Vor ihm fahrende rote Lichter, an Straßenkreuzungen Ampeln, an den Wänden Neonreklamen; richtet er seinen Blick nach oben, so bemerkt er die kleinen vielen Lichter, die in den Häusern für die dort wohnenden Menschen brennen. Tausende von Herzen schlagen im gleichen Rhytmus, im blauen Rhythmus der Fernsehbildschirme, deren Lichtschein aus den Fenstern schimmert. Bis zum Extrem vereinfacht, von Unnötigem befreit, kann die Idee eines Hauses auf eine abstrakte Form reduziert werden, auf eine viereckige Basis und vier Kanten, die sich biegen und dachförmig zusammengeführt werden: Wenn dieses abstrakte Haus bewohnt ist, wenn es lebt, dann wird darin das blaue Licht der kathodischen Röhre brennen.

Eine doppelte Funktion erfüllt das blaue Licht des Videomonitors in der Installation von Annebarbe Kau "Das Haus": Im Zentrum eines filigran gebauten Eisengerüsts hängend, verleiht es der Konstruktion die Spiritualität menschlichen Lebens; leicht rhythmisiert und bis ins Weiße variierend , füllt es den Hohlraum des abstrakten Hauses auf, verleiht ihm seine Körperlichkeit. Dieser Gedanke des Lichtes der Materie liegt ebenfalls der Videoinstallation "trap" zugrunde, in der die Lichtstrahlen des Videoprojektors erst durch die Berührug mit einem dünnen Stahlblech die Materialität des Lichtes sichtbar machen.

Ebenso materiell fühlt sich der an Drahtseilen hängende Monitor an, dessen schweres Gewicht spürbar im Raum wird. Ist es die Spinne, die in der Mitte des selbst gespannten Netzes wartet oder eine bereits gefangene Beute? Auf dem Bildschirm unscharfes Rot, grüne Farbtöne, Pfeiftöne, kaum hörbare Geräusche, manchmal nah, manchmal fern. Eine Hand faßt einen stets flüchtenden Lichtpunkt, der, einem Öltropfen gleich, sich teilt und wieder zusammenfließt. Wie üblich bei Videoinstallationen hat Annebarbe Kau diesen Videofilm mehrmals aneinander auf ein Videoband kopiert; der geduldige und aufmerksame Betrachter wird vielleicht merken, daß jede kopierte Fassung sich von den vorigen unterscheidet, Sequenzen wurden in ihrer Rheienfolge ausgetauscht oder gekürzt.

Die Körperlichkeit der Arbeit von Annebarbe Kau läßt sich so leicht nicht festlegen: Ist es Kopie oder Original, ist es Klang nicht auch Farbe? Der materielle Punkt, aus dem gesendet wird, ist eindeutig der Videomonitor; aber aus dem Bildschirm und aus dem Lautsprecher kann der Standart der Kunst nicht eindeutung bestimmt werden: Bilder und Klänge funktionieren autonom, stellen die herkömmliche Logik des Tonfilms in Frage, schöpfen einen Raum. In dem Flugzeuge an platzenden Ballons vorbeifliegen, in dem abstrakte Farbtöne sich mit dem ruhigen Geräuschambiente einer Landschaft mischen.

Wer hat die Enttäuschung desjenigen nicht einmal erlebt, der ins Freie zieht, um mit einem kleinen Tonbandgerät und einem Mikrophon Vogelgezwitscher aufzunehmen und mit einem Geräuschbrei nach Hause kommt, aus dem vorbeiziehende Flugzeuge, der entfernte Autoverkehr, Kirchenglocken und Vogelgesang nicht auseinanderzuhalten sind. Von seiner Enttäuschung betäubt, den begehrten Vogel nicht wiederzuerkennen, hört er nicht, daß er viel mehr gefunden hat, einen ganzen Raum, einen Klangraum, der viel reicher ist, als der Gesang, den er isolieren wollte. In einen solchen Klangraum führt uns Annebarbe Kaus Klanginstallation "DU", vier kleine, grüne Lautsprecher in vier Netzen gefangen, die der Ausstellungbesucher zuerst suchen muß; um sie zu finden, kann er sich nach Stimme und Klang richten, die ihn in regelmäßigen Abständen ruft: "Du..., Du..., Du...". Es geht dabei viel weniger darum zu erraten, wer mich ruft, als vielmehr darum, woher mich eine Stimme ruft, aus welchem Raum sie mich anspricht. Dieser beharrende Ruf bringt den Besucher dazu stillzustehen, ruhig und konzentriert zu horchen, seinen Standort im Raum bewußt wahrzunehmen; diese Aufmerksamkeit gleicht der, der erforderlich ist, um den Puls des eigenen Herzens, um den eigenen Körper zu spüren. Annebarbe Kau lehnt es ab, wenn ihre Arbeit auf Video oder auf Bildende Kunst reduziert wird. Vielmehr interessiert sie das, was jenseits der zerstreuten Perzeption geschieht, der Perzeption von Bildern, die sich von selbst auf dem Bildschirm behaupten, Fernsehbilder zum Beispiel, die wir einfach an uns vorbeiziehen lassen. Annebarbe Kau fängt die Aufmerksamkeit des Betrachters mit Tönen, die nur hörbar werden, wenn man ihnen zuhört. Dadurch ändert sie den Wahrnehmungsrhythmus des Zuhörers, verlangsamt oder beschleunigt ihn, führt einen dazu, diesen Raum zu betreten, der weder Bild noch Klang ist, einen stets übersehenden und überhörten Raum: Vielleicht ist der nachhallend klingende Raum, aus dem eine Stimme: "Du.., Du.., Du..." ruft, der Raum des eigenen Körpers, vielleicht steckt diese Stimme, die mich ruft: "Du..., Du..., Du..." in mir selbst?