Lutz Ellerbrock

Romana Rebbelmund: Erst die Lösung, dann das Problem.

In: Lutz Ellerbrock – Freitags nach dem Dackel schubsen. Herausgegeben von RAUM FÜR KUNST, Aachen 2005, o.P.
Ampeln müssen in die Ampelschule, bevor sie ihren Dienst im Straßenverkehr antreten. Salzstangen werden im Salzstangen-Wald geerntet. Stabhochspringer springen mit Stabheuschrecken. und echte Stutenkerle backen Keksgesichter. Dies sind nur einige bildliche Lösungen aus dem schöpferischen Kosmos von Lutz Ellerbrock. Lösungen, nach denen noch niemand gefragt hat, die aber nun Fragen aufwerfen. Ist das, was man als normal, als Norm, als alltäglich erlebt, nicht eigentlich skurril und absurd? Ein Beispiel: Die meisten Familien und Singles besitzen heute einen oder mehrere Fernseher, die tagtäglich genutzt werden. Betrachtet man diese Situation mal unbeteiligt von außen, so sitzen Personen relativ unbeweglich vor einem Kasten, der meistens auch noch auf oder in einem kastenartigen Möbel untergebracht ist. In einer früheren Werkphase entwirft Lutz Ellerbrock ein Interieur, das ausschließlich aus Blöcken besteht. Jeder Block trägt die Bezeichnung seiner Funktion, also, „Schrank“, „Radio“, „TV“, „Vater“, „Mutter“…Der Mensch als Immobilie. Das ist absurd und entlarvend zugleich. Dieses Prinzip der Doppelbödigkeit oder auch des doppelten Codes bestätigt sich auch in Hinblick auf Technik und Stil. Lutz Ellerbrock arbeitet bevorzugt auf Papier, das sich allerdings dem Primat der Farbe meist vollkommen unterwirft – die Farbe schließt den Träger ab. Papier erlaubt zudem eine ungewöhnliche Präsentationsform: Ungerahmt werden die Gemälde direkt an die Wand gepinnt oder geheftet, wodurch ein vor- und beiläufiger Eindruck entsteht. Malerei als Versuchsanordnung.

In vereinfachender, überflüssige Details aussparender, gleichwohl gegenständlicher Malweise, die häufig mit einzelnen Wörtern oder Sätzen gepaart wird, arbeitet Lutz Ellerbrock zwischen Bild und Schrift. Seine Gemälde stellen sich damit quer in einer Welt, die einerseits im Überangebot an lesbaren Botschaften – von Reklamezetteln bis zu Buchstabennudeln – versinkt, andererseits aber unter zunehmender plakativer Vereinfachung mit Symbolen, Piktogrammen und Abkürzungen leidet – von Emoticons bis hin zum SMS-Kauderwelsch.

Lutz Ellerbrocks Bildschöpfungen lösen Einzelphänomene malerisch auf, stellen visuelle Hypothesen bereit – das Vorher und Nachher oder der Anlass des Geschehens geht als Spielball auf die Seite des Betrachters.

Sogar bei mehrteiligen Arbeiten, die eine Erzählsequenz zuließen bleibt die Bildlösung hermetisch. So prangt auf dem ersten Blatt einer dreiteiligen Arbeit in fetten Lettern „ENDLICH Batik T-Shirt Verbot“, das zweite wirft ein „ABER“ ein und das dritte weiß um „GRAUSAM Rächerstäbchen-Zwang“.

Mit spitzem Pinsel spiegelt der Künstler die banalen Details des gesellschaftlichen IN und OUT und transformiert sie in einen urkomischen Gegenentwurf des gequälten Modeopfers. Diese Sprach- und Bildkomik hat ihre Wurzeln am ehesten in der literarischen „Wissenschaft der imaginären Lösungen“, der Pataphysik. Alfred Jarry, der ‚Erfinder’ der Pataphysik, lässt in Taten und Meinungen des Pataphysikers Doktor Faustroll (postum erscheinen 1911) seinen Protagonisten eine Kerze entzünden, deren giftigem Dampf an jedem Tag unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zum Opfer fallen. Am sechsten Tag sind es die „…Radfahrer, und zwar ausnahmslos die, die ihre Hosenbeine festklammern“. Wunderbar.