| Eine
strömende Produktivität erfüllt Karl Bohrmanns Arbeit seit
Jahren. Von jeher kam es ihm darauf an, seine Arbeitsfelder Druckgraphik,
Zeichnung, Malerei in reichlicher Fülle anwachsen zu lassen, aber ohne
Routine und frei von Perfektion. Bohrmanns Arbeitsweise vermeidet Zuspitzungen,
Verschärfungen, Verfestigungen. Sein immer zeichenhafter Impuls, bei
dem "der Bleistift die Spitze des Empfindungsstromes ist" setzt
leicht ein, greift leise und nachdenklich aus, beendet die Aktion
und damit das einzelne Werk früh. Das Ergebnis wirkt dennoch nicht
unbestimmt, ja nicht einmal im mindesten improvisiert. Überhaupt zeigt
es sich, daß das bildnerische Programm Bohrmanns sich schon im Frühwerk
herausbildet, und, das zeigen mehr als vierzig Arbeitsjahre, permanent benutzbar
geblieben ist. Es ist ein offenes Programm, formal und inhaltlich. Es legt
dem Künstler keine Zügel an, kanalisiert ihn nicht, entwickelt
und bestimmt keinen Kanon verwendbarer oder zu vermeidender Elemente. Und
doch wachsen durchgehende Züge zu einem Gesamtbild zusammen, das in
sich so viel Lebendigkeit besitzt, daß die in ihm stets erneut verwendeten
Einzelheiten auch jedesmal neu erscheinen. Im Grunde arbeitet der Künstler
mit einem einfachen Vokabular, das auch in den unmittelbar sich aufschließenden
vereinzelten oder kombinierten Anwendungen durchaus lesbar ist. Meist steht
die Lesbarkeit außer Frage. Ordnen wir den Formenapparat, so ergibt
sich einmal die Teilung in sich dehnende Außenzonen und relativ geräumige
Interieurs. Zeichnerisch (und in der Malerei flächenhaft) sind erstere
von ihrer abschließenden Horizontlinie her geordnet. Von dort bestimmen
sie den angelegten Raum, seine meist sehr zurückhaltende, aber
immer bestimmbare Gliederung und die auf ihr oder im Luftraum über
ihr angeordneten Instrumente, organische oder geräthafte. Eine auf
wenige Einzelheiten reduzierte Fächerpalme etwa, die Silhouette eines
fernen Schiffes, das einfache Gestänge einer zwischen zwei körperhaften
Flächen ausgespannten Brücke, ein lautlos schwebendes Aeroplan
im Äther, ein im Boden ruhender Felsblock, stehende oder liegende Behausungen
ohne wesentliche Gliederung. Alle Erscheinungen sind so allgemein wie möglich
eingebracht. Das gilt auch für die Interieurs, in denen die menschliche
Gestalt als weiblicher Akt erscheint, vielleicht das am stärksten prägende
Element. Ein überschlanker Gestalttypus mit Extremitäten, die
der Körperrichtung folgen. Stehende oder liegende Gestalten ohne Stand-
oder Liegemotiv im Sinne der Ponderation. Nicht als Volumina oder Gewichte
in den Raum eingesetzt, eher mit dem Erscheinungsmäßigen der
Erinnerung behaftet. Die hinzutretende Raumausstattung ist nicht frei von
Nachdrücklichkeit: Türöffnung, Tisch, Stuhl, Bett, Leiter,
Lampe, Fensteröffnung. Immer aber ist das Volumen des Raumes, seine
Leere, die Kargheit und Passivität des Inventars im Verhältnis
zu ihm evident. Das Bestimmbare des Raumes steht außer Frage, zugleich
erscheint seine Konstruktion nur soweit verfestigt, wie es die einzelne
Arbeit erfordert. Einer der großen Züge von Karl Bohrmanns Kunst
ist der Verzicht auf jegliche Art von Bekräftigung. Lautlich beschrieben:
er erhebt seine Stimme nie. Insofern sind seine vielen Bilder im Einklang
mit ihrem Urheber. Daß er mit den gezeichneten Blättern einer
Handbewegung folgt, die nicht ausgreift, sondern alle Setzungen mit leichter,
begrenzter Bewegung vornehmen kann, erkennt der Betrachter ohne Mühe.
Hier liegt ein in langen Zeiten herangereiftes Stilmittel verankert. Die
Fähigkeit, der zeichnerischen und ordnenden Unmittelbarkeit alle Energie
zu nehmen, die über das Notwendige hinausreicht. Das hat über
lange Fristen hinweg vor allem für das Zeichnerische (und in der Malerei
das flächenhaft Gliedernde) gegolten, bekommt aber seit einigen Jahren
angesichts der zunehmenden Bedeutung der Collagen inmitten der Gesamtproduktion
zusätzliches Gewicht. Mit diesen Collagen bewegt sich Bohrmann durchaus
im Rahmen der Tradition der Moderne, gebrauchte Papiere für einen neuen
Zusammenhang bildnerischer Art zu verwenden. Persönlich bestimmt sind
bei ihm nächst der Plazierung vor allem Umriß, Farbe und Oberfläche
der eingesetzten Papiere, wobei, den Umriß betreffend, vorgefundene
Blattkanten und spontan gerissene Flächenbegrenzungen gleichermaßen
Verwendung finden. Das Ziel der Arbeit im Einzelnen ist nicht ein komplizierte
Zusammenfügung der Komponenten, sondern eine möglichst einfache.
Selten finden sich außer dem tragenden Grund mehr als zwei oder drei
Papiere auf der Bildfläche. Und diese werden nicht in eine komplizierte
formale Dialektik verwickelt, sondern allermeist auf verblüffend einfache
Weise miteinander verbunden. Die Verbindung ist oft von fragloser Schlüssigkeit,
oft aber auch pointiert. Und gerade dann kommt eine Seite Bohrmanns zu Wort,
die ansonsten von der Person nicht ins Werk einfließt, nämlich
Heiterkeit, Mutwille, Burschikosität, Witz. Unerschöpflich ist
der Vorrat gefundener, aufgelesener, bedacht gesammelter Papierfragmente
schon an sich, jedoch noch mehr in den nicht zählbaren Möglichkeiten
der Kombination. Die Thematik des Werkes hingegen wird kaum modifiziert.
Das liegt vor allem an der jeweils hinzugefügten zeichnerischen Komponente,
die den ganzen Komplex der Collagen mit dem zeichnerischen Oeuvre fest verklammert.
Es zeigt sich, daß der zeichnerische Impuls allerdings aus seiner
nachdenklich-lockeren Lineatur freigemacht werden muß, um Widerpart
oder Ergänzung der eingefügten Papiere werden zu können.
Die Akzente werden breit gesetzt, mit dicken und farbigen Stiften. Denn
die bestimmte, aktive, zuweilen grelle Farbigkeit verlangt adäquate
zeichnerische Bindungen und Antworten. Das große Feld unumwundener
Farbigkeit, jahrzehntelang nur mit Vorsicht in die zeichnerischen Spuren
eingeflochten, bricht sich in den Collagen in einer Weise Bahn, die aus
der Behutsamkeit der eigenen Zeichensprache wohl kaum je erwachsen wäre.
Nunmehr aber sieht Bohrmann Wege, auch seinen großen Leinwänden
kompakte koloristische Wertigkeiten zuzuführen. Dabei bleibt die einfache
Grundkonzeption bestehen. Sie wird ohne Gestik und Heftigkeit in große
Dimensionen überführt. Da die malerische Handschrift gehalten
ist, die Fläche selbst zu füllen, findet indessen erneut ein Prozeß
der Distanzierung und Dämpfung statt. Das Unumwundene der Collagen
wird in den großen Leinwänden transponiert, es erscheint gesteigert
und abgehoben. Karl Bohrmann ist früh, vor fast fünfundvierzig
Jahren, zu definitiven Resultaten seiner bildnerischen Arbeit gelangt. Ausgehend
von einem umfänglichen radierten Oeuvre erschloß er sich das
große Feld der bildmäßigen Zeichnung und schließlich
der Malerei, später der Photographie und der Collage. Zäsuren
in diesem lebenslangen Entwicklungsprozeß werden ihm zweifelsohne
bewußt sein. Für das Auge des Betrachters steht der Zug zur Integration
aller Antriebe, zum Zusammenschluß aller Einsichten, zur Verflechtung
aller Erfahrungen außer Zweifel. Doch an keiner Stelle geschieht dies
alles in demonstrativer Form. Das Werk erscheint wie eingehüllt und
auf lichte Weise verschattet. Die jugendlichen Ansätze haben zu einer
kompliziert strukturierten Entfaltung geführt, die Frische des Impulses
hat sich auf diesem Weg nicht verbraucht. Was in mancher frühen Arbeit
dunkel verknotet war, ist ohne Schnitt und Riß in gelöste Zusammenhänge
überführt worden. Dem früh eingeschlagenen Weg und seinen
Resultaten ohne Vorbehalt zu folgen, die dem Werk zuwachsenden Kräfte
aufzunehmen, ohne deshalb Irritationen nachzugeben, dies hat inmitten einer
außerordentlichen kontrovers verlaufenden Beurteilung des künstlerischen
Werkes von Karl Bohrmann eine ebenso freie wie konsistente Entwicklung verschafft,
deren Perspektive sich ins Zukünftige öffnet. |