Karl Bohrmann: Katalog 1992, Herausgegeben vom Verlag Renate Schröder. Mönchengladbach 1992, Seite 9-11.
"Das kombinatorische Spiel." Von Hans van der Grinten.
Eine strömende Produktivität erfüllt Karl Bohrmanns Arbeit seit Jahren. Von jeher kam es ihm darauf an, seine Arbeitsfelder Druckgraphik, Zeichnung, Malerei in reichlicher Fülle anwachsen zu lassen, aber ohne Routine und frei von Perfektion. Bohrmanns Arbeitsweise vermeidet Zuspitzungen, Verschärfungen, Verfestigungen. Sein immer zeichenhafter Impuls, bei dem "der Bleistift die Spitze des Empfindungsstromes ist" setzt leicht ein, greift leise und nachdenklich aus, beendet die Aktion — und damit das einzelne Werk früh. Das Ergebnis wirkt dennoch nicht unbestimmt, ja nicht einmal im mindesten improvisiert. Überhaupt zeigt es sich, daß das bildnerische Programm Bohrmanns sich schon im Frühwerk herausbildet, und, das zeigen mehr als vierzig Arbeitsjahre, permanent benutzbar geblieben ist. Es ist ein offenes Programm, formal und inhaltlich. Es legt dem Künstler keine Zügel an, kanalisiert ihn nicht, entwickelt und bestimmt keinen Kanon verwendbarer oder zu vermeidender Elemente. Und doch wachsen durchgehende Züge zu einem Gesamtbild zusammen, das in sich so viel Lebendigkeit besitzt, daß die in ihm stets erneut verwendeten Einzelheiten auch jedesmal neu erscheinen. Im Grunde arbeitet der Künstler mit einem einfachen Vokabular, das auch in den unmittelbar sich aufschließenden vereinzelten oder kombinierten Anwendungen durchaus lesbar ist. Meist steht die Lesbarkeit außer Frage. Ordnen wir den Formenapparat, so ergibt sich einmal die Teilung in sich dehnende Außenzonen und relativ geräumige Interieurs. Zeichnerisch (und in der Malerei flächenhaft) sind erstere von ihrer abschließenden Horizontlinie her geordnet. Von dort bestimmen sie den angelegten Raum, seine — meist sehr zurückhaltende, aber immer bestimmbare Gliederung und die auf ihr oder im Luftraum über ihr angeordneten Instrumente, organische oder geräthafte. Eine auf wenige Einzelheiten reduzierte Fächerpalme etwa, die Silhouette eines fernen Schiffes, das einfache Gestänge einer zwischen zwei körperhaften Flächen ausgespannten Brücke, ein lautlos schwebendes Aeroplan im Äther, ein im Boden ruhender Felsblock, stehende oder liegende Behausungen ohne wesentliche Gliederung. Alle Erscheinungen sind so allgemein wie möglich eingebracht. Das gilt auch für die Interieurs, in denen die menschliche Gestalt als weiblicher Akt erscheint, vielleicht das am stärksten prägende Element. Ein überschlanker Gestalttypus mit Extremitäten, die der Körperrichtung folgen. Stehende oder liegende Gestalten ohne Stand- oder Liegemotiv im Sinne der Ponderation. Nicht als Volumina oder Gewichte in den Raum eingesetzt, eher mit dem Erscheinungsmäßigen der Erinnerung behaftet. Die hinzutretende Raumausstattung ist nicht frei von Nachdrücklichkeit: Türöffnung, Tisch, Stuhl, Bett, Leiter, Lampe, Fensteröffnung. Immer aber ist das Volumen des Raumes, seine Leere, die Kargheit und Passivität des Inventars im Verhältnis zu ihm evident. Das Bestimmbare des Raumes steht außer Frage, zugleich erscheint seine Konstruktion nur soweit verfestigt, wie es die einzelne Arbeit erfordert. Einer der großen Züge von Karl Bohrmanns Kunst ist der Verzicht auf jegliche Art von Bekräftigung. Lautlich beschrieben: er erhebt seine Stimme nie. Insofern sind seine vielen Bilder im Einklang mit ihrem Urheber. Daß er mit den gezeichneten Blättern einer Handbewegung folgt, die nicht ausgreift, sondern alle Setzungen mit leichter, begrenzter Bewegung vornehmen kann, erkennt der Betrachter ohne Mühe. Hier liegt ein in langen Zeiten herangereiftes Stilmittel verankert. Die Fähigkeit, der zeichnerischen und ordnenden Unmittelbarkeit alle Energie zu nehmen, die über das Notwendige hinausreicht. Das hat über lange Fristen hinweg vor allem für das Zeichnerische (und in der Malerei das flächenhaft Gliedernde) gegolten, bekommt aber seit einigen Jahren angesichts der zunehmenden Bedeutung der Collagen inmitten der Gesamtproduktion zusätzliches Gewicht. Mit diesen Collagen bewegt sich Bohrmann durchaus im Rahmen der Tradition der Moderne, gebrauchte Papiere für einen neuen Zusammenhang bildnerischer Art zu verwenden. Persönlich bestimmt sind bei ihm nächst der Plazierung vor allem Umriß, Farbe und Oberfläche der eingesetzten Papiere, wobei, den Umriß betreffend, vorgefundene Blattkanten und spontan gerissene Flächenbegrenzungen gleichermaßen Verwendung finden. Das Ziel der Arbeit im Einzelnen ist nicht ein komplizierte Zusammenfügung der Komponenten, sondern eine möglichst einfache. Selten finden sich außer dem tragenden Grund mehr als zwei oder drei Papiere auf der Bildfläche. Und diese werden nicht in eine komplizierte formale Dialektik verwickelt, sondern allermeist auf verblüffend einfache Weise miteinander verbunden. Die Verbindung ist oft von fragloser Schlüssigkeit, oft aber auch pointiert. Und gerade dann kommt eine Seite Bohrmanns zu Wort, die ansonsten von der Person nicht ins Werk einfließt, nämlich Heiterkeit, Mutwille, Burschikosität, Witz. Unerschöpflich ist der Vorrat gefundener, aufgelesener, bedacht gesammelter Papierfragmente schon an sich, jedoch noch mehr in den nicht zählbaren Möglichkeiten der Kombination. Die Thematik des Werkes hingegen wird kaum modifiziert. Das liegt vor allem an der jeweils hinzugefügten zeichnerischen Komponente, die den ganzen Komplex der Collagen mit dem zeichnerischen Oeuvre fest verklammert. Es zeigt sich, daß der zeichnerische Impuls allerdings aus seiner nachdenklich-lockeren Lineatur freigemacht werden muß, um Widerpart oder Ergänzung der eingefügten Papiere werden zu können. Die Akzente werden breit gesetzt, mit dicken und farbigen Stiften. Denn die bestimmte, aktive, zuweilen grelle Farbigkeit verlangt adäquate zeichnerische Bindungen und Antworten. Das große Feld unumwundener Farbigkeit, jahrzehntelang nur mit Vorsicht in die zeichnerischen Spuren eingeflochten, bricht sich in den Collagen in einer Weise Bahn, die aus der Behutsamkeit der eigenen Zeichensprache wohl kaum je erwachsen wäre. Nunmehr aber sieht Bohrmann Wege, auch seinen großen Leinwänden kompakte koloristische Wertigkeiten zuzuführen. Dabei bleibt die einfache Grundkonzeption bestehen. Sie wird ohne Gestik und Heftigkeit in große Dimensionen überführt. Da die malerische Handschrift gehalten ist, die Fläche selbst zu füllen, findet indessen erneut ein Prozeß der Distanzierung und Dämpfung statt. Das Unumwundene der Collagen wird in den großen Leinwänden transponiert, es erscheint gesteigert und abgehoben. Karl Bohrmann ist früh, vor fast fünfundvierzig Jahren, zu definitiven Resultaten seiner bildnerischen Arbeit gelangt. Ausgehend von einem umfänglichen radierten Oeuvre erschloß er sich das große Feld der bildmäßigen Zeichnung und schließlich der Malerei, später der Photographie und der Collage. Zäsuren in diesem lebenslangen Entwicklungsprozeß werden ihm zweifelsohne bewußt sein. Für das Auge des Betrachters steht der Zug zur Integration aller Antriebe, zum Zusammenschluß aller Einsichten, zur Verflechtung aller Erfahrungen außer Zweifel. Doch an keiner Stelle geschieht dies alles in demonstrativer Form. Das Werk erscheint wie eingehüllt und auf lichte Weise verschattet. Die jugendlichen Ansätze haben zu einer kompliziert strukturierten Entfaltung geführt, die Frische des Impulses hat sich auf diesem Weg nicht verbraucht. Was in mancher frühen Arbeit dunkel verknotet war, ist ohne Schnitt und Riß in gelöste Zusammenhänge überführt worden. Dem früh eingeschlagenen Weg und seinen Resultaten ohne Vorbehalt zu folgen, die dem Werk zuwachsenden Kräfte aufzunehmen, ohne deshalb Irritationen nachzugeben, dies hat inmitten einer außerordentlichen kontrovers verlaufenden Beurteilung des künstlerischen Werkes von Karl Bohrmann eine ebenso freie wie konsistente Entwicklung verschafft, deren Perspektive sich ins Zukünftige öffnet.