An
diesen Zeichnungen ist alles Auge und Hand. Wie ein Süchtiger läßt
der Künstler den Blick schweifen. Er fixiert Naheliegendes und holt
Erinnerungen heraus. Der Strich fließt einfach und drängt nach
Wiederholung. Aus der Leere entspringt die wunderbare Entfaltung des Tuns.
So sind in den letzten Jahren die Zeichnungsserien der "Leitern"
und "Bäume" entstanden und das kühne Unternehmen der
"Akte". Vielleicht muß man erst wie Karl Bohrmann an die
siebzig Jahre alt werden, um in der Kunst dieses souveräne "wie
zum erstenmal" zu erreichen; um so wenig vordergründig die Schönheit
zu suchen.
Karl Bohrmann ist in München kein Unbekannter. Günther Franke
stellte ihn aus und später Bernd Klüser. Mit einer großen
Retrospektive seiner Papierarbeiten würdigte das Lenbachhaus den
Zeichner, Maler und Photographen, der stets unauffällig, einzelgängerisch
und jedenfalls unabhängig von den Tagesaufgeregtheiten der Szene
seiner Arbeit nachging. Aber das war schon 1981. Grund genug für
die Graphische Sammlung, diese kleine exzellente Ausstellung vorzubereiten,
die den Blick auf das radikal-zeichnerische Konzept lenken will und dies
mit feinen Exponaten der Sammlung Ingrid Welle tut.
Schön in einem herkömmlichen Sinn waren diese Blätter nicht.
Alles an ihnen suggerierte Beiläufigkeit. Das Format war bescheiden,
die Linie schmucklos ruppig, minimal die Veränderungen. Aus der puren
Motorik eines Auf und Ab erwuchsen silhouettierte Erinnerungsbilder von
Bäumen. Das banale Holm-Sprossen-Motiv schlägt räumliche
Breschen. Ohne Programm, ohne Psychologie, ohne modischen Bewußtseinsschwulst
ereignet sich hier etwas zwischen Sehen und Lesen: Zeichnen.
Ein Akt ist ein Akt ist ein Akt. Mit lapidarer Monumentalität beschwört
Karl Bohrmann in Hunderten von "Wiederholungen" immer nur eines:
das Geheimnis der Erscheinung, Akte liegend, hockend, sich entkleidend
in vieldeutig organisierten Räumen und in unendlicher Folge. Das
Ausbreiten wird zur Essenz. Zeichnend übt Bohrmann seine Hand im
Weglassen. Zeichnend trägt ihn seine Erinnerung hinaus, öffnet
eine einzige Linie atemberaubende Weite. Wie Matisse zwingt er die Hand,
die angelernten Gesten zu vergessen. Wie sein Lehrer Willi Baumeister
sieht er zu, was aus dem Material entstehen will. Wie beim hochverehrten
Morandi vibriert die lichthaltige Linie.
Bohrmann zeichnet mit einer Losgelöstheit, als ob die Hand sich selber
führte. Er beginnt mit einfachen Fragen und endet in Offenheit. Ums
Bildermachen geht es ihm nicht. Bohrmanns Zeichnungen handeln von Seherfahrungen.
Wir folgen ihren Bewegungen, lesen ihre Spuren, erspüren Tempi und
Rhythmus. Da ist wenig hineinzudichten. Erkennendes Wahrnehmen genügt.
Das ist ihre Posesie. Oder wie er selbst einmal resümiert: "Das
ist eine wichtige Erfahrung: daß ich mich durch das Zeichnen von
dem ursprünglichen Sehen entfernt habe, daß ich das Zeichnen
zeichne und nicht das Gegenüber, auch nicht die Empfindung davon."
Bis 7. Dezember. Danach Frankfurter Kunstverein. Der Katalog kostet 29
Mark. Das großformatige Buch "Wiederholungen. 355 Aktzeichnungen
aus der Sammlung Ingrid Welle" kostet in der Ausstellung 64 Mark.
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