Karl Bohrmann: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.12.1998.
"Blick des Bildes. Baumeisters Schule: Zum Tod von Karl Bohrmann." Von Susanne Henle.

Der Zeichner und Maler Karl Bohrmann ist am 17. Dezember in Köln gestorben. Bohrmann wurde siebzig Jahre alt. In seinen letzten Lebensjahren konnte er, von einer Erkrankung behindert, nicht mehr an großen Leinwänden malen, wie sie das Museum Schloß Moyland noch 1997 gezeigt hatte. Seine unablässige Produktivität konzentrierte sich daher wiederum auf Zeichnungen, die seit Jahren im Mittelpunkt seiner Arbeit standen und sein eigentliches Hauptwerk bilden.
Der Schüler Willi Baumeisters erprobte die Abstraktion nur wenige Jahre. Wie sich Sichtbarkeit mitteilen läßt, beschäftigte ihn sein Leben lang. Nicht zeitgenössische Diskussionen lieferten die Orientierung, sondern das Vorbild der großen Meister der Moderne: Picasso, Giacommeti, Morandi. Beharrlich widmete sich Karl Bohrmann dem großen, traditionellen Thema der Figur im Raum. Das Sehen ist dem Begehren nah: Über Jahrzehnte zeichnete Bohrmann wieder und wieder den weiblichen Akt. Er wollte seine Figuren zeichnen. Wie Morandi seine Gefäße malte: so in den Raum gerückt, daß das innere Bild erfüllt war.
Bohrmann lehrte in den siebziger Jahren Aktzeichnen an der Farnkfurter Städelschule — für die damalige Avantgarde eine unzeitgemäße Beschäftigung, die ihm den Vorwurf des allzu "Privaten" eintrug. Doch Bohrmann widerstand den Forderungen des Zeitgeistes. Er zog sich 1980 von der Schule zurück. Der Künstler blieb ein einzelner im Kunstbetrieb, der ihn gleichwohl in den achtziger und neunziger Jahren mit einer Reihe von Einzelausstellungen würdigte, zuletzt noch in diesem Jahr im Frankfurter Kunstverein. 1982 wurde Bohrmann Stipendiat der Villa Romana, 1984 Ehrengast der Villa Massimo, 1984 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Sein Ruhm in einem engeren Kreis von Sammlern gründete sich vor allem auf seine schönen Bücher, etwa die "Briefe nach Wien" (Stuttgart 1998). Hier wurde das Private öffentlich, um im Dialog mit dem einzelnen Betrachter Intimität zurückzugewinnen.
Zeichnend beantwortete Bohrmann den scheinbaren Druck — möglichst spontan, ohne das etwas "dazwischengeriet". Zeichnend reagierte er auch auf lange schon von fremder Hand Geschriebenes. Bohrmann liebte gebrauchte Papiere, die bereits die Spuren anderer tragen, denen er Eigenes wie beiläufig hinzufügte. Mit knappen, treffsicheren Strichen, sparsamsten Mitteln, wenigen Farbakzenten in Rot oder Blau rufen seine späten Zeichnungen Erinnerungsräume wach. Immer wieder richtet sich der innere Blick auf die rot bekleidete Frauenfigur vor weitem Horizont, auf Bäume, das Haus, Tisch und Stuhl, eine Wolke. Seine Zeichnungszyklen umkreisen ein Thema, das der als Komponist dilettierende Bohrmann im Reichtum der Variationen entfaltet.
Eine leise, doch in ihrer Unabhängigkeit starke Stimme wird in diesem Oeuvre hörbar. Die besten Zeichnungen erfüllen das Ziel, das Bohrmann sich setzte: "ein Bild, das blickt, durch die Zeiten hindurch".