Karl Bohrmann : Süddeutsche Zeitung vom 22.12.1998, S. 15
"Befreite Linien. Zum Tod des Malers und Zeichners Karl Bohrmann." Von Dorothea Baumer.

Der Künstler Karl Bohrmann erschien nie jünger als in seinen letzten Jahren. Seinem Ideal einer guten Zeichnung war er radikal nahe gekommen. Darüber dürfen nicht wenige gestaunt haben, die seine Ausstellung in der Neuen Pinakothek im vergangenen Herbst sahen. "Befreiend leicht" und "wie von selbst entstanden" wirkte an diesen Blättern alles. In Hunderten von "Wiederholungen" beschwor der Künstler immer nur eines: das Geheimnis der Erscheinung.
Schön in einem herkömmlichen Sinn waren diese Blätter nicht. Alles an ihnen suggerierte Beiläufigkeit. Das Format war bescheiden, die Linie schmucklos ruppig, minimal die Veränderungen. Aus der puren Motorik eines Auf und Ab erwuchsen silhouettierte Erinnerungsbilder von "Bäumen", in vieldeutig organisierten Räumen und in unendlicher Folge "Akte" liegend, hockend, sich entkleidend. Ohne Programm, ohne modischen Bedeutungsschwulst ereignete sich hier etwas zwischen Sehen und Lesen. Zeichnen.
Karl Bohrmanns Kunst war immer leise. Unauffällig, einzelgängerisch und jedenfalls gänzlich unabhängig von den Tagesaufgeregtheiten der Szene ist dieser Maler, Zeichner und Photograph seiner Arbeit nachgegangen, von einer größeren Öffentlichkeit wohl auch darum lange nicht wahrgenommen. Noch in den sechziger Jahren kämpfte er ums blanke Überleben. 1980 dann würdigte das Münchner Lenbachhaus den Künstler mit einer großen Retrospektive seiner Papierarbeiten. Sie lenkte den Blick auf den frühen Radierer, ließ mit spielerisch sinnlichen Arbeiten einen Meister der Collage "Luststücke auf der Pappbühne" aufführen und huldigte einem Zeichner, dessen Sensibilität an Wols oder Cy Twombly erinnern konnte und der doch anders suchte und fand. Gleich, ob er die Spuren flüchtig hingeworfener Akte zog oder schwebender Landschaften, Bohrmann konnte mit einer Linie Fülle wecken. Dem Kunstvollen mißtraute er gründlich.
Er liebte das Vorläufige, das Unabgeschlossene, die offene Frage. Daß ein Augenblick zeitlos wird, Bild wird, wünschte er sich dennoch. In seinen besten Arbeiten ist ihm das mehr als anderen gelungen. Karl Bohrmann, 1928 in Mannheim geboren, studierte 1948/48 bei Willi Baumeister an der Stuttgarter Akademie. Er lebte in den sechziger Jahren in München, wo Günther Franke ihn wiederholt ausstellte und später dann Bernd Klüser. Er zog nach Frankfurt, als er Lehrer am Städel wurde, lebte in Amsterdam und zuletzt in Köln.
1985 wurde der auch sonst mit einigen Preisen Ausgezeichnete in die Bayerische Akademie der Schönen Künste aufgenommen. Da war er schon an multipler Sklerose erkrankt. In den letzten Jahren auf den Rollstuhl angewiesen, legte er, als wäre gerade jetzt alles Schwere von ihm abgefallen, ein Arbeitstempo und eine Produktivität an den Tag, die alle, die ihn kannten — und er hatte viele Freunde — erstaunen ließ. Am 17. Dezember ist Karl Bohrmann in Köln gestorben.