Karl Bohrmann: Zu Lande, zu Wasser und in der Luft

Besprechung der Ausstellung in der Galerie Gabriele Rivet, Köln (29.10. - 17.12.2003).

In: Kölner Stadt-Anzeiger vom 18.11.2003, S. 20.

Zu Lande und in der Luft. Karl Bohrmann stellt in der Galerie Gabriele Rivet aus.
Die Horizontlinie, das Schiff, die Schraffur am Haus werden zu Chiffren existenzieller Erfahrung.
Von Dorothea Breit
Die Kate oder ein Mensch in weiter öder Landschaft — das sind vertraute Motive in Karl Bohrmanns lyrischem Zeichenwerk. Auch die Bäume, einzeln oder in kleinen Gruppen. Man fragt nicht, warum der Künstler sie hier mit leuchtend roter Fettkreide gezeichnet hat. Sie sind einfach da, fast aufreizend vielsagend in diesem schönen Rot und dennoch verschwiegen. Und selbst wenn man sie zum ersten Mal sieht, die kleinen Schiffe, geformt aus ein paar Strichen schwarzer Fettkreide auf einer waagerechten schwarzen Linie im weiten Horizont eines postkartengroßen Blattes, sind sie einem nicht fremd. Ein anderes Schiff tuckert fern auf einer helltürkisfarbenen Schraffur vom linken zum rechten Bildrand, wo je ein weißes Haus das Ufer markiert. Wie eine Schaukel schwingen vom oberen Bildrand zeltförmig zwei parallele schwarze Linien, aus dem Schlot des Dampfschiffs weht rußiges Schwarz in den Himmel.
Die Galerie Gabriele Rivet zeigt Werke aus den letzten Lebensjahren von Karl Bohrmann. Der 1928 in Mannheim geborene Zeichner und Radierer wäre am 29. Oktober 75 Jahre alt geworden. „Zu Lande, zu Wasser und in der Luft“ lautet der poetische Titel der Gedächtnisausstellung; er erfasst treffend das Atmosphärische und Vieldeutige in Bohrmanns Arbeiten. Kurz vor seinem Tod entstand eine Serie farbiger Alpenlandschaften, gezeichnet auf vergilbten Blättern eines alten Briefwechsels nach Wien.
Kindlich-fröhlich muten die Berge in sommerlich warmen, gelben, rosa und grünen losen Strichen mit Fettkreide an, hellblau der See im Vordergrund. Die Farben verblüffen schon ein wenig, denn Bohrmann hatte sie bis dahin wie alle Zeichen stets sparsam und verhalten eingesetzt. Mit ganz wenigen Mitteln gelang es ihm, atmosphärische Dichte, Intensität und Farbigkeit zu erzeugen. So eröffnet eine einfache weiße Fläche auf baumwollfarbener Leinwand einen schier unendlichen Raum über einem heimeligen Bauernhof vor braunen Hügeln — und bezeichnet dennoch nur die Leinwand.
Das Motiv in Andeutungen zu vergegenwärtigen und zugleich die Eigendynamik des Arbeitsprozesses erlebbar zu machen, das ist Bohrmanns Kunst. Das Ineinander von Wahrnehmung und Vorstellung, von Realität und Fiktion sichtbar zu machen. Aus subjektiver Perspektive hat Bohrmann viele zeitlose Augenblicke des Lebens eingefangen, die Momente universaler existenzieller Erfahrung sind. Eine Linie am Horizont, ein Schiff auf offenem Meer, eine Schraffur am Haus, ein Gekritzel im Baum bieten dem Auge und der Fantasie Ankerpunkte im weiten Raum der Zeichenfläche. Oder im Blick der kleinen roten Figur mit schwarzem Haarschopf ins Nirgendwo, auf der Suche nach dem Mann am Meer.