Darf
ich Sie um etwas bitten? Mit dieser Frage endete meine erste Begegnung
mit Sumi Maro im November 1995 auf der Kölner Kunstmesse, auf der
er mich gebeten hatte, bei seiner Performance am folgenden Tag mitzuwirken.
Ich ahnte freilich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß ich mit diesem
Auftritt auch gleichzeitig zu seinem zukünftigen Modell werden sollte.
Und um ehrlich zu sein, bereute ich sogar kurz darauf meine schnelle Entscheidung
ein wenig. Denn als Dank für meine Zusage hatte ich ein kleines,
blaues Holzkistchen geschenkt bekommen, in dem sich das Foto einer mit
Draht gefesselten Aoki befand, und auch bei dem Gedanken, in der Performance
die Rolle einer Domina zu spielen, war mir recht unwohl zumute. Heute
aber bin ich dankbar, daß letztlich Neugier und die Freude darüber,
endlich einen japanischen Künstler persönlich kennengelernt
zu haben, über die Zweifel gesiegt hatten. (Auch die Domina-Rolle
hatte sich als ganz harmlos erwiesen.) Sicherlich wäre ich sonst
um eine in vieler Hinsicht wertvolle Bekanntschaft mit einem Menschen,
den ich nicht nur als Künstler, sondern auch als außergewöhnlichen
Mann schätze, ärmer.
Was bedeutet es nun für mich, in den Werken von Sumi Maro zu erscheinen?
Er schrieb mir einmal, seine Kunst könne ohne Frauen niemals entstehen.
So bin ich natürlich in erster Linie sehr geehrt, einen so wichtigen
Platz in seiner Kunst einnehmen zu dürfen. Gleichzeitig ist es jedoch
seltsam zu wissen, daß sich ein anderer mehr und intensiver mit
meiner Person beschäftigt, als ich selbst es tue. Bei einem Atelierbesuch
habe ich miterlebt, wie Sumi-san tage-, wochen-, manchmal sogar monatelang
mit einem Foto vor sich an den Details meines Gesichtes arbeitet. Fast
kam es mir so vor, als würde er mich auf diese Weise regelrecht durchschauen
und könne etwas sehen, was ich, bewußt oder unbewußt,
zu verbergen suche. (Letzteres wurde mir erst klar, als Sumi Maro mich
darauf hinwies, daß ich auf den meisten Fotografien den direkten
Blick in die Kamera vermeiden würde.) Wie wenn einem die eigene Stimme
auf Tonband fremd erscheint, so habe ich daher oftmals das Gefühl,
als blicke mir aus den Bildern jemand anderes entgegen. Und als sei dieser
Jemand mein Alter ego, das ich selbst noch nicht kenne oder das nur für
andere sichtbar ist. Die Werke Sumi Maros, die sich für mich immer
auf der Gratwanderung zwischen Wahrheit und Fiktion, Vertrautheit und
Fremdheit befinden, fordern daher geradezu heraus, nach dem eigenen Ich
zu fragen und den Mut zu haben, mich selbst zu erkennen.
Über meinem Schreibtisch hängt ein Bild, das mir Sumi Maro einmal
schenkte. Aus der Ferne betrachtet, ist darauf mein Gesicht zu erkennen,
das sich jedoch, je näher man an das Bild herantritt, immer weiter
in unzählige bunte Farbfelder auflöst und damit unsichtbar wird.
Heute, nachdem fast zwei Jahre vergangen sind, kann ich mein Gesicht auch
deutlich wahrnehmen, wenn ich direkt vor dem Bild stehe.
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