Kölner-Stadtanzeiger vom 9./10.11.02
DAS
MEDIUM ÜBER DIE MEDIEN: Anna Anders spielt in der Galerie Rivet mit
der Spannung aus Realität und Virtualität.
Jürgen Kisters
Anna Anders (Jahrgang 1959) gehört zu den ganz speziellen Video-Künstlerinnen.
Sie nutzt alles, was die Technik bietet, und zeigt zugleich ihre Grenzen.
Sie reflektiert mit dem Medium über das Medium selbst und entfaltet
gleichermaßen die Kraft einer erstaunlichen Poesie, die in den so
genannten neuen Medien schimmert. Und bei all dem gelingt es ihr auch
noch, ihre Kunst mitten in der Erfahrung des Alltäglichen zu verorten.
Wo der Triumph der neuen digitalen Bildformen gewöhnlich
in ihrer Immaterialität und zunehmenden Distanzierung vom Gegenstand
liegt, führt sie das Videomedium bewusst an die Schnittstelle der
Materialität. So wird der Bildschirm zur anfassbaren Sache, die man
berühren und auf die man sich sogar setzen soll. Während in
einem Video eine Hand mit Wischlappen den Bildschirm von innen säubert,
wird die Glasscheibe zur Trennfläche von innen und außen. Dasselbe
geschieht, wenn Kinder, die sich offenbar im Kasten des Hockers befinden,
ihre Hände und Gesichter gegen den Bildschirm pressen, wie Menschen,
die eingesperrt sind und diese Situation zunächst lustig und dann
beängstigend empfinden. Für einen Augenblick kommt die archaische
Vorstellung aus der Frühzeit des Fernsehens auf, daß sich tatsächlich
echte Menschen im Innern dieses Bildschirmkastens befinden.
Auch wenn Anna Anders mittels einer Videoprojektion den Einblick in ein
belebtes Wohnungsfenster zeigt und darin den Eindruck von Echtzeit erzeugt,
spielt sie mit der Spannung von Realität und Virtualität. Der
Mann hinter den Jalousienschlitzen kleidet sich an, geht im Raum hin und
her und schaut sogar durch die Lamellen nach draußen, sodass die
Betrachter plötzlich selbst zu Betrachteten werden. Derartige Umkehrungsprozesse
sind charakteristisch für die Kunst von Anna Anders. So kommt man
sich nach einer Weile amüsierten Schauens mit einem Mal ganz lächerlich
vor, während man die fünf lebensgroß auf die Wand projizierten
jungen Frauen anstarrt, die als Engel der Nacht ziemlich idiotisch
dastehen, an ihren Kleidern und Haaren zupfen, dumme Gesichter machen
und auf ihre Erlösung warten. Geschickt bringt Anna Anders
die Betrachter immer wieder selbst ins Spiel, thematisiert die Erwartungshaltung
des Voyeurs ebenso wie die mit ein paar plakativen Effekten auskommende
Passivität, die in den vergangenen Jahren mehr und mehr die Kunstbetrachtung
bestimmt. Dass ihre Kunst bei all dem von Witz und Leichtigkeit getragen
wird, bestätigt nur die originelle Prägnanz, in der Anna Anders
die traditionelle künstlerische Ernsthaftigkeit mit einer neuen medialen
Sprache zu verknüpfen weiß.
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