"FACE TO FACE" (23.10. - 21.12.2002)

Kölner-Stadtanzeiger vom 9./10.11.02

DAS MEDIUM ÜBER DIE MEDIEN: Anna Anders spielt in der Galerie Rivet mit der Spannung aus Realität und Virtualität.
Jürgen Kisters


Anna Anders (Jahrgang 1959) gehört zu den ganz speziellen Video-Künstlerinnen. Sie nutzt alles, was die Technik bietet, und zeigt zugleich ihre Grenzen. Sie reflektiert mit dem Medium über das Medium selbst und entfaltet gleichermaßen die Kraft einer erstaunlichen Poesie, die in den so genannten neuen Medien schimmert. Und bei all dem gelingt es ihr auch noch, ihre Kunst mitten in der Erfahrung des Alltäglichen zu verorten.

Wo der „Triumph“ der neuen digitalen Bildformen gewöhnlich in ihrer Immaterialität und zunehmenden Distanzierung vom Gegenstand liegt, führt sie das Videomedium bewusst an die Schnittstelle der Materialität. So wird der Bildschirm zur anfassbaren Sache, die man berühren und auf die man sich sogar setzen soll. Während in einem Video eine Hand mit Wischlappen den Bildschirm von innen säubert, wird die Glasscheibe zur Trennfläche von innen und außen. Dasselbe geschieht, wenn Kinder, die sich offenbar im Kasten des Hockers befinden, ihre Hände und Gesichter gegen den Bildschirm pressen, wie Menschen, die eingesperrt sind und diese Situation zunächst lustig und dann beängstigend empfinden. Für einen Augenblick kommt die archaische Vorstellung aus der Frühzeit des Fernsehens auf, daß sich tatsächlich „echte“ Menschen im Innern dieses Bildschirmkastens befinden.

Auch wenn Anna Anders mittels einer Videoprojektion den Einblick in ein belebtes Wohnungsfenster zeigt und darin den Eindruck von Echtzeit erzeugt, spielt sie mit der Spannung von Realität und Virtualität. Der Mann hinter den Jalousienschlitzen kleidet sich an, geht im Raum hin und her und schaut sogar durch die Lamellen nach draußen, sodass die Betrachter plötzlich selbst zu Betrachteten werden. Derartige Umkehrungsprozesse sind charakteristisch für die Kunst von Anna Anders. So kommt man sich nach einer Weile amüsierten Schauens mit einem Mal ganz lächerlich vor, während man die fünf lebensgroß auf die Wand projizierten jungen Frauen anstarrt, die als „Engel der Nacht“ ziemlich idiotisch dastehen, an ihren Kleidern und Haaren zupfen, dumme Gesichter machen und auf ihre „Erlösung“ warten. Geschickt bringt Anna Anders die Betrachter immer wieder selbst ins Spiel, thematisiert die Erwartungshaltung des Voyeurs ebenso wie die mit ein paar plakativen Effekten auskommende Passivität, die in den vergangenen Jahren mehr und mehr die Kunstbetrachtung bestimmt. Dass ihre Kunst bei all dem von Witz und Leichtigkeit getragen wird, bestätigt nur die originelle Prägnanz, in der Anna Anders die traditionelle künstlerische Ernsthaftigkeit mit einer neuen medialen Sprache zu verknüpfen weiß.