"Recent Stuff." (23.10. - 22.12.2001): KSTA 06_12_2001

DER HUMOR DER QUALLEN: Einige erstaunliche Wechselwirkungen in der Kunst. Bizarres Ich und hart wie Gummi: Colin Cook und Charles Worthen in den Galerien Mirko Mayer und Gabriele Rivet.

VON U. JAGLA - BLANKENBURG

"Relax" oder "Everything is beautiful" lauten verheißungsvoll die Titel und Botschaften der Videos von Colin Cook in der Galerie Mirko Mayer, doch die Frohgemute Ausstrahlung der stets ichzentrierten Bilder ist zweischneidig. Auf kuriose Weise stellt der junge Amerikaner aus Kalifornien seinen eigenen, "ganz normalen Körper ins Zentrum der Betrachtung, malträtiert ihn mit abstrusen digitalen Veränderungen und absurden Verzerrungen. Auf eine festgelegte Bildsprache lässt er sich nicht ein, denn die grotesken Entwürfe seines beschwingten Alter Ego reichen von neorealistischen Inszenierungen bis hin zu künstlichsurrealen Aufzügen.
Da stapft er fröhlich singend, die Videokamera um den Bauch gebunden, durch die hektischen Straßen von Los Angeles, kommuniziert in Babysprache und neonfarbenem Strampelanzug mit einem Kleinkind oder richtet Hypnotische Appelle an gestresste Erdenbürger. Doch bleibt einem zwischen so viel Selbstironie und absurder Lächerlichkeit schon das Lachen im Halse stecken, denn man ahnt und weiß selbst nur allzu gut, dass ein Scheitern dieser zwanghaften Ich-Figur schon programmiert ist.
Bei Fotos, Zeichnungen und Collagen besteht Cook auf nüchterne Präsentationsformen. Recht unspektakulär ist da Handgeschriebenes oder Fotokopiertes mit Nadeln an die Wand gepinnt. Auch dabei stellt sich Cook ins Zentrum einer Betrachtung, die sich subversiv mit Körperkult und Männlichkeitswahn auseinander setzt.
Sind es nun jene seltsam durchlöcherten Körperpartien oder seine mit grellen Kunststoff überzogenen Gliedmaßen, die da im gleichen Selbstverständnis wie auf Familien-fotos auftreten - immer verblüfft das sarkastische Wechselspiel von authentischer Vorgabe und verzerrtem Resultat. Mit simplen technischen und formalen Mitteln wird eine "Realität auf Abwegen" gezeichnet, die drastisch-humorvoll die fraglichen Selbstentwürfe der westlichen Gesellschaft in Frage stellt.


Weit weniger gesellschafskritisch, doch dafür um so verführerischer in ihrer Wirkung erweist sich die wuchernde Plastik-Ästhetik von Charles Worthen in der Galerie Gabriele Rivet. Ein archaisches Universum von wabernden Mikroorganismen, bunt und schleimig, bevölkert Wände, Böden und Kellergeschoss. Humorvoll und bewusst trivial erweisen sich die quallenartigen Skulpturen aus der Reihe "Recent Stuff" zunächst als lustvolle Gespielinnen des Betrachters. Biegsam und beweglich erscheinen jene Weichteilformen oder die aus bunten Plastik - Scheibletten aufgeschichteten Köpfe und Kugeln. Doch bei Berührung jenes scheinbar so formbaren Spielzeugs für Erwachsene wird man sogleich eines Besseren belehrt. Der Eindruck von schmeichelnder Weichheit wechselt über zur Erfahrung von unnachgiebiger Härte, denn die vorgeblich nachgiebige Form erweist sich als reaktionsloser Panzer.
Vor jenem Hintergrund spannungsreicher Wechselwirkungen lotet Worthen die gestalterischen Möglichkeiten des starren, aber haptisch reizvollen Materials Gummi aus. Vestenamer ist eine besonders harte Variante und eignet sich für resistente Körper und Gefüge. Bislang bevorzugte er weiches Silikon, das mit seinem Hauptbestandteil Silizium noch die Spuren frühester Kulturen in sich trägt.
Feuerstein oder alte ägyptische Skulpturen sind aus jener robusten Kieselerde, die uns heute, in absorbierter Form zu Silikon, vor den Einwirkungen einer als feindlich empfundenen Umwelt schützen soll. So sichern diese "kunstvollen" Stoffe sowohl den eigenen, inneren Raum, wie sie den äußeren abwehren. In jenem Wechselspiel zwischen Anziehungskraft, Intimität und Distanz erweisen sich die geschmeidig-stahlharten Kleinteile als schillernde Täuschungsmanöver zwischen Realität und Vorstellungswelt.