Ein
Frauenmund ach was, ein Kussmund. Erst knutscht er zaghaft, dann
voller Leidenschaft. Sein Objekt der Begierde: die blanke Mattscheibe
unseres Fernsehers. Am Ende ist sie von Lippenstift verschmiert. In diesem
TV- Kuss" einem einminütigen Videoclip aus dem Jahr 1988,
stecken bereits viele Andeutungen auf spätere Arbeiten von Anna Anders.
Denn ihr Focus richtet sich mit Vorliebe auf diese Scheibe, das Interface"
wie sie erklärt wo die reale und die virtuelle Welt aufeinandertreffen.
So verschloss die 1959 in München geborene Künstlerin im November
1997 den Hohlraum der Deutzer Brücke am Ausgang rechtsrheinisch mit
der Videoinstallation Auf der anderen Seite". Es schien, als
würden Menschen hinter einer Scheibe den Einlass in den temporären
Ausstellungsraum begehren: Sie klopften gegen das Glas, gestikulierten
um suchten den Blickkontakt mit den Menschen jenseits der durchsichtigen
Wand. Womit Anna Anders nicht gerechnet hatte: Sie musste bald einen Wärter
einsetzen, der die Besucherinnen davon abzuhalten hatte, die Scheibe zu
demontieren. Denn einige hatten ihre gefilmte Szene für echt gehalten
und fühlten sich zur tatkräftigen Hilfeleistung aufgefordert.
So weit wollte die Künstlerin, die an der Kölner Kunsthochschule
für Medien ein Postgraduiertenstudium absolvierte und seither dort
lehrt, die Betrachterinnen dann doch nicht aufs Glatteis führen.
Noch heute wundert sie sich, wie man die Pixelstruktur in der Projektion
übersehen konnte. Amüsiert stellt sie fest, dass Täuschungen
mit elektronischen Bildern nicht nur bei der Oma, die zu Hause vor
ihrem Fernseher sitzt und sich von dem Nachrichtensprecher höchstpersönlich
angesprochen glaubt, funktionieren, sondern auch bei jüngeren,
die mit dem TV aufgewachsen sind.
Dabei ist das Überlisten ihre Sache nicht. Wenn Anders in der Videoinstallation
Shower" Menschen unter der Dusche beobachtet, wie sie sich
hinter fast transparenten Vorhängen ihrer Badekleidung entledigen,
sich einseifen und abspülen, tut sie dies nicht etwa mit versteckter
Kamera, sondern engagiert Schauspieler und Freunde. Irritieren möchte
die Künstlerin, die sich offen und ohne Attitüden zu ihrem Werk
äußert. Sie spielt mit dem Voyeurismus der Betrachterinnen,
ohne sie peinlich bloßzustellen. Am liebsten sieht Anders deshalb
ihre Arbeiten in öffentlichen Räumen, wo man eher die Konfrontation
mit dem realem Leben denn mit der Kunst erwartet und ganz unvermittelt
zum neugierigen Zuschauer von fremdem und eigenem Verhalten
wird.
Gleichwohl freut sie sich jetzt über ihre Galerienausstellung bei
Gabriele Rivet, in der erstmals ihre Arbeiten in Köln über einen
längeren Zeitraum gezeigt werden. Acht ihrer Videoarbeiten werden
über fünf Wochen präsentiert Shower" ist dort
zu sehen (doppelbödig übrigens schon der Titel, in dem das englische
Wort to show" steckt), und auch die anderen Arbeiten kreisen
ums Wachsen und Putzen. Bitte nicht freudianisch deuten" -
lautet der augenzwinkernde Rat der Anna Anders, das Badezimmer in der
Galerie eigne sich als Projektionsfläche für gewöhnliche
und zugleich intime Handlungen einfach hervorragend. Tatsächlich
stellt die Galeristin oftmals nicht nur die vorgesehenen Ausstellungsflächen
zur Verfügung, sondern gibt jeden Winkel für ihre Künstlerinnen
frei. Anna Anders nutzt hier die Wanne, das Waschbecken und das normalerweise
verhängte Fenster zwischen Bad und Ausstellungsraum und inszeniert
eine Situation von Sehen und Gesehen werden.
Im Hauptraum wird auf drei kleine Scheiben das Säubern derselben
projiziert, und weil das Putzen eine virtuelle, das Glas hingegen eine
echte und virtuelle Ebene darstellt, markieren die Scheibenwischer"
die Schnittstelle zwischen Fake und Realität. Also interaktive Kunst?
Anna Anders mag diesem Begriff nicht, weil doch eigentlich alle
Kunst interaktiv ist". Nur einmal hat sie ihr Publikum konkret aufgefordert,
aktiv einzugreifen und damit ihren Kommentar zur Interaktivität
geleistet". In der Video-/Computerinstallation "Touch - screen"
(1998), ein Projekt, das ihr den 1. Marler Video-Installationspreis einbrachte
und durch diese Förderung überhaupt erst realisiert werden konnte,
reagiert die Mattscheibe des Monitors mittels komplizierter Programmierung
auf Berührung. Die Akteure im Inneren" des Kastens antworten
mit lockenden bis erbosten Gesten und Stimmen. Doch braucht man den Kontakt
mit dem Computer? Die Konfrontation mit den eigenen Reaktionsmechanismen
ist wesentlich direkter, wenn nur der Blick durch die Scheibe in den eigenen
Kopf trifft.
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