Anna Anders. In: Stadt Revue 5. Mai 2000
VON HINTEN DURCH DIE SCHEIBE INS AUGE.
Zum ersten Mal sind Videos von Anna Anders in einer großen Galerienausstellung zu sehen. Ein Porträt der Künstlerin, die an der Kölner Kunsthochschule für Medien lehrt.
Von Cordula Walter-Bolhöfer.
 

Ein Frauenmund — ach was, ein Kussmund. Erst knutscht er zaghaft, dann voller Leidenschaft. Sein Objekt der Begierde: die blanke Mattscheibe unseres Fernsehers. Am Ende ist sie von Lippenstift verschmiert. In diesem „TV- Kuss" einem einminütigen Videoclip aus dem Jahr 1988, stecken bereits viele Andeutungen auf spätere Arbeiten von Anna Anders. Denn ihr Focus richtet sich mit Vorliebe auf diese Scheibe, das „Interface" wie sie erklärt „wo die reale und die virtuelle Welt aufeinandertreffen.
So verschloss die 1959 in München geborene Künstlerin im November 1997 den Hohlraum der Deutzer Brücke am Ausgang rechtsrheinisch mit der Videoinstallation „Auf der anderen Seite". Es schien, als würden Menschen hinter einer Scheibe den Einlass in den temporären Ausstellungsraum begehren: Sie klopften gegen das Glas, gestikulierten um suchten den Blickkontakt mit den Menschen jenseits der durchsichtigen Wand. Womit Anna Anders nicht gerechnet hatte: Sie musste bald einen Wärter einsetzen, der die Besucherinnen davon abzuhalten hatte, die Scheibe zu demontieren. Denn einige hatten ihre gefilmte Szene für echt gehalten und fühlten sich zur tatkräftigen Hilfeleistung aufgefordert. So weit wollte die Künstlerin, die an der Kölner Kunsthochschule für Medien ein Postgraduiertenstudium absolvierte und seither dort lehrt, die Betrachterinnen dann doch nicht aufs Glatteis führen. Noch heute wundert sie sich, wie man die Pixelstruktur in der Projektion übersehen konnte. Amüsiert stellt sie fest, dass Täuschungen mit elektronischen Bildern nicht nur „bei der Oma, die zu Hause vor ihrem Fernseher sitzt und sich von dem Nachrichtensprecher höchstpersönlich angesprochen glaubt“, funktionieren, sondern auch bei jüngeren, die mit dem TV aufgewachsen sind.
Dabei ist das Überlisten ihre Sache nicht. Wenn Anders in der Videoinstallation „Shower" Menschen unter der Dusche beobachtet, wie sie sich hinter fast transparenten Vorhängen ihrer Badekleidung entledigen, sich einseifen und abspülen, tut sie dies nicht etwa mit versteckter Kamera, sondern engagiert Schauspieler und Freunde. Irritieren möchte die Künstlerin, die sich offen und ohne Attitüden zu ihrem Werk äußert. Sie spielt mit dem Voyeurismus der Betrachterinnen, ohne sie peinlich bloßzustellen. Am liebsten sieht Anders deshalb ihre Arbeiten in öffentlichen Räumen, wo man eher die Konfrontation mit dem realem Leben denn mit der Kunst erwartet und ganz unvermittelt zum neugierigen Zuschauer von fremdem — und eigenem — Verhalten wird.
Gleichwohl freut sie sich jetzt über ihre Galerienausstellung bei Gabriele Rivet, in der erstmals ihre Arbeiten in Köln über einen längeren Zeitraum gezeigt werden. Acht ihrer Videoarbeiten werden über fünf Wochen präsentiert „Shower" ist dort zu sehen (doppelbödig übrigens schon der Titel, in dem das englische Wort „to show" steckt), und auch die anderen Arbeiten kreisen ums Wachsen und Putzen. „Bitte nicht freudianisch deuten" - lautet der augenzwinkernde Rat der Anna Anders, das Badezimmer in der Galerie eigne sich als Projektionsfläche für gewöhnliche und zugleich intime Handlungen einfach hervorragend. Tatsächlich stellt die Galeristin oftmals nicht nur die vorgesehenen Ausstellungsflächen zur Verfügung, sondern gibt jeden Winkel für ihre Künstlerinnen frei. Anna Anders nutzt hier die Wanne, das Waschbecken und das normalerweise verhängte Fenster zwischen Bad und Ausstellungsraum und inszeniert eine Situation von Sehen und Gesehen werden.
Im Hauptraum wird auf drei kleine Scheiben das Säubern derselben projiziert, und weil das Putzen eine virtuelle, das Glas hingegen eine echte und virtuelle Ebene darstellt, markieren die „Scheibenwischer" die Schnittstelle zwischen Fake und Realität. Also interaktive Kunst? Anna Anders mag diesem Begriff nicht, weil doch „eigentlich alle Kunst interaktiv ist". Nur einmal hat sie ihr Publikum konkret aufgefordert, aktiv einzugreifen und damit ihren „Kommentar zur Interaktivität geleistet". In der Video-/Computerinstallation "Touch - screen" (1998), ein Projekt, das ihr den 1. Marler Video-Installationspreis einbrachte und durch diese Förderung überhaupt erst realisiert werden konnte, reagiert die Mattscheibe des Monitors mittels komplizierter Programmierung auf Berührung. Die Akteure „im Inneren" des Kastens antworten mit lockenden bis erbosten Gesten und Stimmen. Doch braucht man den Kontakt mit dem Computer? Die Konfrontation mit den eigenen Reaktionsmechanismen ist wesentlich direkter, wenn nur der Blick durch die Scheibe in den eigenen Kopf trifft.