Anna Anders. In: KSTA vom 24. Mai 2000.
Vom Zwang zur Reinlichkeit. Anna Anders beschäftigt sich mit Waschgängen aller Art.

Von Susanne Boecker.

 

Fimmel, Zwang, Neurose - wenn’s ums Waschen geht, wird´s ganz schnell ernst. Und intim. Reinlichkeit ist eine Sache, über die man nicht gerne spricht. Und beim Reinemachen lässt man sich auch so nicht gerne beobachten. Ein Umstand, der Anna Anders zu vielfältigen (Video)-Betrachtungen über das Thema angeregt hat. Bei Gabriele Rivet fand sie dafür ideale Voraussetzungen: Steht hier doch im Zentrum der Galerie ein echtes Badezimmer als realistisches Ambiente für entsprechende Video-Projektionen bereit.
Bereits beim Betreten des großen Hauptraumes umfängt den Besucher eine dichte Geräuschkulisse diverser Reinigungsaktivitäten. Er vernimmt das Quietschen von Fensterleder, hört das Plätschern einer Dusche , erkennt das typische Geräusch einer rotierenden Waschmaschinentrommel. All das kann er auch sehen: Da steht eine Waschmaschine, in deren Bulllauge ein im „Hauptwaschgang“ befindlicher Frauenkopf kreist, ein Duschvorhang gibt den Blick frei auf verschiedene, sich nacheinander ausgiebig duschende Personen. Hände mit Lappen in dem Kunsthistorisch bedeutungsschwangeren Farbtrio Gelb-Rot-Blau (Barnet Newmans Yellow-Red-Blue lässt grüßen) wischen unentwegt kleine Scheiben sauber. Einen regelrecht kunstmarktechnischen Reinigungsvorgang kann man an der hinteren Galeriewand beobachten: Hier ist zu sehen, wie die Wand von dem Bild der letzten Ausstellung befreit und für die nächste mit einem frischen grünen Farbanstrich präpariert wird. Die raumbezogenen Videoinstallationen von Anders beschreiben Alltagsrituale.
Hinterrücks beobachtet
In ihrer ersten Einzelausstellung hat die 1959 in München geborene Künstlerin den Themenkomplex „Reinigung“ mit der für sie typischen Leichtigkeit auf mehreren Ebenen ausformuliert, die sich in der Gesamtsituation schlüssig ergänzen. Dabei geht es ihr weniger um große Mitteilungen zur Sache, als vielmehr um kleine, sich durch Blickverschiebungen ergebende Aspekte. Um das Dazwischen, das was zwischen dem Sehenden und dem Gesehenen passiert und das gemeinhin übersehen wird.
„Life size“ nennt sie selber diese Installation, in der sich die einzelnen in „Realformat“ projizierten Videos zu einem lebensgroßen Erlebnisfeld zusammenschließen.
Wenn man sich angesichts der ganzen zur Schau gebotenen Putzerei plötzlich ein wenig unwohl fühlt, so liegt das zum einem an dem obsessiv vorgetragenen Thema, zum anderen an der Tatsache, dass man bei seiner Beobachtung dieser Waschvorgänge nicht allein ist: Man wird selbst beobachtet. Hinterrücks durch eine Fensteröffnung spähend, macht eine Gruppe Neugieriger den Besucher zum Begafften.
Eine Steigerung erfährt diese voyeuristische Spannung im Badezimmer. Im geschlossenen Raum des stillen Örtchens wird der Besucher Zeuge einer Badeszene: In der Wanne frönt eine Frau unter genussvollem Summen ihrer Badelust. Im Waschbecken werden zwei Hände nicht müde, einander einzuseifen. Das alles geschieht allerdings unter den Augen diverser Personen, die von außen hereinschauen und jede Bewegung der Wasch-Rituale zu verfolgen scheinen. Der sich in dem per Definition nicht öffentlichen Raum des Badezimmers befindliche Besucher fühlt sich durch diese Blicke doppelt entblößt: Zum einen, weil andere ihn beim Beobachten intimer Szenen beobachten, zum anderen, weil er sich selber durch seine Anwesenheit in diesem Raum in einen eigentlich nicht für Publikum bestimmten Zustand versetzt hat.
In ihrer Videoinstallation hat Anna Anders Blickverbindungen und Bedeutungsebenen zu einem dichten Geflecht , einer Art visuellem Spinnennetz verwoben, in dem der Besucher mal als lauernder Jäger , mal als hilflose Beute erscheint. Im Fadenkreuz der Blickverbindungen merkt er sehr schnell: Reinigungsrituale bleiben an der Oberfläche. Blicke dringen tiefer.