DIE
ERSTE ARBEIT
Irgendwann
hat jede(r) einmal angefangen, und so gibt es auch von jedem Künstler
eine erste Arbeit. Das hat Gabriele Rivet auf die Idee gebracht,
Künstler nach ihren Anfängen zu fragen. Bewusst hat sie den
Künstlern selbst die Entscheidung darüber überlassen, was
sie als ihre erste Arbeit ansehen, denn gewöhnlich gibt es auch von
den Anfängen unterschiedliche Ansichten und Interpretationen. Für
die einen ist ihre erste Arbeit diejenige, mit der sie ihren eigenen Stil
gefunden haben, wie Mercedes Barros, Volker Saul, Gina Lee Felber oder
Jürgen Klauke, der ein überarbeitetes Passfoto und selbst gemachte
Identitätskarten an den Beginn seines Werkes setzt.
Für andere beginnt die eigene Kunst bereits in der Kindheit, etwa
für Karin Sander. Sie hat ein Foto beigesteuert, das sie als Dreijährige
beim spielerischen Wasserschöpfen zeigt. Mit der gleichen Konzentration
aquarelliere sie heute, gibt sie als Begründung für die ersten
Entwicklungen ihrer künstlerischen Tätigkeit. Beeindruckend
sind auch die Arbeiten, die im Jugendalter entstanden. So hat Andreas
Kaufmann mit 16 Jahren in formal souveräner Komposition die Himmelfahrt
eines Amerikaners im Fesselballon über blaugestreiften Hochhäusern
gemalt.
Aufschlussreich
Im gleichen Alter malte Zbigniew Rybszinski in winzigen Figuren mit geduldiger
Genauigkeit das neue poppige Flair der Jugend von 1965. Und der jugendliche
Naritoshi Hirakawa malte mit beharrlicher Detailtreue ein Haus im Wald.
Bemerkenswert ist das erste Ölgemälde von Frances Scholz, eine
expressiv -bewegte Raumstudie, die während der Akademiezeit in Berlin
entstand. Eine Radierung des 19-jährigen Karl Bohrmann (von 1948)
demonstriert, dass der Künstler auch im Alter von über 70 Jahren
seinen auf einfache Striche reduzierten Bildmotiven treu geblieben ist.
Gleichfalls eindrucksvoll ist das Chemigramm eines Selbstporträts
von Leiko Ikemura (enstanden 1984), das eine überraschende Kontinuität
zu ihren aktuellen malerischen und skulpturalen Menschenbildern sichtbar
werden lässt. Ebenso aufschlussreich wie witzig sind die frühen
Werke von Annebarbe Kau (ein expressiv gemalter Fabelvogel), Tina Haase
(eine mit Schnüren bespannte Zigarrenkiste) und Anna Anders (ein
Fußball-Video mit krabbelnden Ameisen).
Spannender als die einzelne Arbeit ist die aus der Ausstellung hervorgehende
Frage, was (die) Künstler selbst als ihre Erstlingswerke auswählen.
Entscheidend dabei: Wie viel wollen sie selbst von sich preisgeben, wie
sorgfältig pflegen sie das eigene Erinnern und wie viel Humor haben
sie? Und insofern ist die Schau entwicklungsgeschichtlich so interessant
wie psychologisch.
(JK)
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