The very first KSTA 24-2-2000

DIE ERSTE ARBEIT

Irgendwann hat jede(r) einmal angefangen, und so gibt es auch von jedem Künstler eine „erste Arbeit“. Das hat Gabriele Rivet auf die Idee gebracht, Künstler nach ihren Anfängen zu fragen. Bewusst hat sie den Künstlern selbst die Entscheidung darüber überlassen, was sie als ihre erste Arbeit ansehen, denn gewöhnlich gibt es auch von den Anfängen unterschiedliche Ansichten und Interpretationen. Für die einen ist ihre erste Arbeit diejenige, mit der sie ihren eigenen Stil gefunden haben, wie Mercedes Barros, Volker Saul, Gina Lee Felber oder Jürgen Klauke, der ein überarbeitetes Passfoto und selbst gemachte Identitätskarten an den Beginn seines Werkes setzt.
Für andere beginnt die eigene Kunst bereits in der Kindheit, etwa für Karin Sander. Sie hat ein Foto beigesteuert, das sie als Dreijährige beim spielerischen Wasserschöpfen zeigt. Mit der gleichen Konzentration aquarelliere sie heute, gibt sie als Begründung für die ersten Entwicklungen ihrer künstlerischen Tätigkeit. Beeindruckend sind auch die Arbeiten, die im Jugendalter entstanden. So hat Andreas Kaufmann mit 16 Jahren in formal souveräner Komposition die „Himmelfahrt eines Amerikaners“ im Fesselballon über blaugestreiften Hochhäusern gemalt.
Aufschlussreich
Im gleichen Alter malte Zbigniew Rybszinski in winzigen Figuren mit geduldiger Genauigkeit das neue poppige Flair der Jugend von 1965. Und der jugendliche Naritoshi Hirakawa malte mit beharrlicher Detailtreue ein Haus im Wald. Bemerkenswert ist das erste Ölgemälde von Frances Scholz, eine expressiv -bewegte Raumstudie, die während der Akademiezeit in Berlin entstand. Eine Radierung des 19-jährigen Karl Bohrmann (von 1948) demonstriert, dass der Künstler auch im Alter von über 70 Jahren seinen auf einfache Striche reduzierten Bildmotiven treu geblieben ist. Gleichfalls eindrucksvoll ist das Chemigramm eines Selbstporträts von Leiko Ikemura (enstanden 1984), das eine überraschende Kontinuität zu ihren aktuellen malerischen und skulpturalen Menschenbildern sichtbar werden lässt. Ebenso aufschlussreich wie witzig sind die frühen Werke von Annebarbe Kau (ein expressiv gemalter Fabelvogel), Tina Haase (eine mit Schnüren bespannte Zigarrenkiste) und Anna Anders (ein Fußball-Video mit krabbelnden Ameisen).
Spannender als die einzelne Arbeit ist die aus der Ausstellung hervorgehende Frage, was (die) Künstler selbst als ihre Erstlingswerke auswählen. Entscheidend dabei: Wie viel wollen sie selbst von sich preisgeben, wie sorgfältig pflegen sie das eigene Erinnern und wie viel Humor haben sie? Und insofern ist die Schau entwicklungsgeschichtlich so interessant wie psychologisch.
(JK)