|
Die
jüngsten Skulpturen von Volker Saul wirken wie klare, emblemhafte
Silhouetten an der Wand. Sie bilden einen Blickfang und scheinen darauf
angelegt zu sein, dass man sie selbst bei kurzem Hinschauen erfassen und
wiedererkennen kann. Ihren markanten Formen ist nicht anzusehen, dass
Saul sie in einem langen Prozess entwickelt hat, an dessen Beginn die
einfachste künstlerische Tätigkeit, das Ziehen einer Linie auf
dem Papier stand.
Volker Saul (*1955) präsentiert in der Galerie Gabriele Rivet zwei
verwandte, doch formal unterschiedliche Gruppen seiner Wandskulpturen:
Zu mehrteiligen offenen Ensembles sind jeweils fünf horizontal verlaufende
Linien zueinander parallel angeordnet. Wie abstrahierte Schriftzeilen
oder Textblöcke erscheinen sie an der Wand und wecken die Suggestion
von Lesbarkeit- und in ihrer linearen festumrissenen Form auch von Rationalität
und Strenge. Dynamisch erscheint eine zweite Gruppe von Hängeskulpturen,
die jeweils aus zwei geschwungenen Linien gebildet sind. Beiden Gruppen
eignet durch Reduktion auf die blockhafte Linie, durch monochrom bunte
Farbigkeit und formelhafte Kürze ein singnalhafter Charakter, der
nicht auf den sensibilisierten Blick angewiesen zu sein scheint.
Den geschwungenen Skulpturen ist noch am ehesten der Ursprung in der Zeichnung
anzumerken. In seriell entwickelten Formulierungen, in Tausenden von Blättern,
untersucht Volker Saul systematisch Duktus, Hanschrift sowie Schreibfluss
und reduziert dann das Individuelle und Spontane zugunsten einer Monumentalisierung
in Skulptur. So wurde aus der sensiblen Setzung eine plastische Manifestation,
so wurde die Spur der ephemeren Handbewegung zum symbolhaften Formkürzel
transformiert, das sich einem Markenzeichen, einem Produktsignet annähert.
Diese Verschiebung scheint auch an der materialen Gestaltung ablesbar
zu sein: der augenscheinlichen Perfektion der Ausführung. Aber Volker
Saul hat für seine Hängeskulpturen die Konturen aus MDF -Platten
selbst ausgesägt, die einzelnen Schichten verleimt, sie geschliffen
und abschliessend mit farbigen Acryl überzogen.
Die handeglättete Oberfläche soll nur bis zu einem gewissen
Grade die makellose Brillanz einer industriellen Produktion erreichen,
gegen die er sich bewusst entschieden hat. Saul will sich nicht nur auf
den Entwurf beschränken und beharrt darauf, dass die Arbeit im Atelier
ablesbar bleibt: Die charakteristischen Formen seiner Skulpturen sind
darauf angewiesen, in processu erprobt zu werden. Sensibel tastet sich
Saul heran an die visuellen Phänomene des urbanen Lebens, die gerade
durch ihre Funktionalität die Imagination oft erdrücken und
die Unterscheidungsfähigkeit verkümmern lassen, da nicht Sehen
oder Lesen, sondern das Auslösen von Wiedererkennen visiert ist.
Dass die Wirkung zwischen skulpturalen Transformationen der bewegten oder
fliessenden Linie und kompakten Manifestationen von Formkomplexen changiert,
ist einkalkuliert, denn sie kann nur in der Spannung zwischen individuellem
Ausdruck und der virulenten Zeichenkultur aufkommen.
|