Wer
fürchtet sich vorm Christentum?
Liebe
Leserin, lieber Leser, die Wellen schlugen hoch, als die Galeristin Gabriele
Rivet im "heiligen" Köln eine ungewöhnliche Installation
zeigte: Noritoschi Hirakawa hatte eingeladen, Bibeln in einer speziellen
Anlage einzuschwärzen.
In der Fußgängerzone wurden Passanten im Schatten des Doms
gefragt, ob sie bereit seien, eine Bibel zur Verfügung zu stellen,
die dann in schwarze Tinte getaucht wurde, um sie so unleserlich zu machen.
Von spontaner Bereitschaft bis zu verständnislosem Kopfschütteln
reichten die Reaktionen, die auf Tonband mitgeschnitten wurden und im
Ausstellungsraum der Galerie immer von neuem zu hören waren. Ungewöhnliche
Bibelausgaben waren darunter, ein Theologieprofessor schickte eine griechisch-lateinische
Ausgabe des Neuen Testaments, ein Religionslehrer brachte einen ganzen
Kofferraum ausgemusterter Schulbibeln, die ebenfalls präsentiert
wurden.
Bibeln einschwärzen? Die Aktion war weniger als Festival von Bibelgegnern
gemeint, als vielmehr als kritische Auseinandersetzung mit gewissen Traditionen
des christlichen Abendlandes, für die die Bibel zum Symbol wurde.
Der japanische Künstler, der seit 1993 in New York lebt und damit
einen bestimmten Typ christlicher Kultur kritisiert, sieht im Christentum
eine Macht, die der Welt einen brutalen Stempel aufgedrückt hat und
Leben zerstört statt zu fordern. Jürgen Kisters schrieb im Kölner
Stadt-Anzeiger: Hirakawa sieht "die Struktur der "killermacht
Kapitalismus" untrennbar mit dem Christentum verknüpft, dessen
zerstörerische Wirkung bis in die kleinsten Lebensbereiche überall
den Lauf der Welt prägt". Gewonnen hat der Japaner diese Einsicht
in New York. Täglich, erklärt er, höre er dort Radiosendungen,
in denen pausenlos von Schuld und Verboten die Rede sei, Härte gegen
sich selbst und andere gepredigt und zum Kampf gegen die Sünde aufgerufen
werde. "Das Christentum ist eine Religion, die keine Wahl läßt
und wenig Flexibilität besitzt, die den Menschen klein macht und
manipuliert", faßt er seine Erfahrungen zusammen.
Reaktionen auf die Veröffentlichungen zur Ausstellung füllen
eine ganze Mappe in der Galerie in der Volksgartenstraße, die man
über einen Treppenaufzug unter dem Dach eines Hinterhauses erreicht.
Die Phantasie von Frommen und von Spinnern wurde angeregt und führte
zu verständnislosen und missionarischen Stellungnahmen. Der Eindruck
des Künstlers von der christlichen Welt wurde jedoch kaum ernst genommen.
Welches Bild vermitteln die Christen, wenn sie verschrekken? Wieviel geistlicher
Unsinn wurde ausgeschüttet, daß nur leere Drohgebärden
übrig blieben statt der Kraft der befreienden Guten Nachricht?
Die theologische Erneuerungsbewegung um Karl Barth hat in der ersten Hälfte
unseres Jahrhunderts den Unterschied zwischen Christentum und dem persönlichen
Glauben der Christen deutlich herausgearbeitet. Während das Christentum
eine von christlichen Traditionen, aber auch von römischen Strukturen
und griechischer Philosophie beeinflußte Kultur darstellt, die oft
genug von den Mächtigen für ihre Zwecke mißbraucht wurde,
steht der Glaube auf einem ganz anderem Blatt. Schon Soeren Kierkegaard
hatte beißenden Spott über die Vertreter des Christentums ausgegossen
und dabei um Vertrauen in Christus geworben. Wo der Glaube sich mit der
Macht verbündet, kommt es zu einer unheiligen Allianz. Die beiden
schadet: Der Glaube wird zum Instrument und muß sich fügen.
Der Macht geht das kritische Gegenüber verloren, das nötig ist,
daß der Mensch sich nicht zum Maß aller Dinge erhebt.
Ob man die Kritik mit dem Schwärzen von Bibeln ausdrücken muß?
Der Künstler hat wohl mit diesem Symbol einen Unschuldigen zum Sündenbock
gemacht, da die Bibel ihren Leser dazu ermutigt, dem "Christentum"
Lebewohl zu sagen und dem lebendigen Gott zu vertrauen. Geschwärzte
Stellen einer Veröffentlichung wecken jedoch die besondere Neugier
des Lesers, und so wird die Bibelschwärz-Aktion unter der Hand zu
einem Zeichen, das neugierig macht auf das so gefährlich scheinende
Buch.
Eigentlich schade, daß die Diskussion mit dem Künstler nicht
noch stärkere Resonanz unter den Christen gefunden hat. Die Kunst
als ein Spiegel der Wirklichkeit könnte gerade für engagierte
Christen mehr sein als Dekoration für Kahle Kirchenwände. Sie
verdient es, als Gesprächspartner ernst genommen zu werden, um zu
verstehen, wie Christen und ihre Gemeinden wirken. In der Auseinandersetzung
werden beide Seiten verändert werden und am Ende gewinnen.
In dieser Ausgabe der GEMEINDE geht es noch in weiteren Artikeln um die
Macht. Weniger in ihrem abschreckenden Gewand, sondern um den rechten
Umgang mit der Macht, die sowohl als Potenz als auch als bedrohlicher
Herrschaftsanspruch verstanden werden kann. Für Christen ein wichtiges
Thema, das sich besonders in der Gemeinde als "Raum des Verstrauens"
(Wiard Popkes) auswirken muß.
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