Die Gemeinde 13/98

Wer fürchtet sich vorm Christentum?

Liebe Leserin, lieber Leser, die Wellen schlugen hoch, als die Galeristin Gabriele Rivet im "heiligen" Köln eine ungewöhnliche Installation zeigte: Noritoschi Hirakawa hatte eingeladen, Bibeln in einer speziellen Anlage einzuschwärzen.
In der Fußgängerzone wurden Passanten im Schatten des Doms gefragt, ob sie bereit seien, eine Bibel zur Verfügung zu stellen, die dann in schwarze Tinte getaucht wurde, um sie so unleserlich zu machen. Von spontaner Bereitschaft bis zu verständnislosem Kopfschütteln reichten die Reaktionen, die auf Tonband mitgeschnitten wurden und im Ausstellungsraum der Galerie immer von neuem zu hören waren. Ungewöhnliche Bibelausgaben waren darunter, ein Theologieprofessor schickte eine griechisch-lateinische Ausgabe des Neuen Testaments, ein Religionslehrer brachte einen ganzen Kofferraum ausgemusterter Schulbibeln, die ebenfalls präsentiert wurden.
Bibeln einschwärzen? Die Aktion war weniger als Festival von Bibelgegnern gemeint, als vielmehr als kritische Auseinandersetzung mit gewissen Traditionen des christlichen Abendlandes, für die die Bibel zum Symbol wurde. Der japanische Künstler, der seit 1993 in New York lebt und damit einen bestimmten Typ christlicher Kultur kritisiert, sieht im Christentum eine Macht, die der Welt einen brutalen Stempel aufgedrückt hat und Leben zerstört statt zu fordern. Jürgen Kisters schrieb im Kölner Stadt-Anzeiger: Hirakawa sieht "die Struktur der "killermacht Kapitalismus" untrennbar mit dem Christentum verknüpft, dessen zerstörerische Wirkung bis in die kleinsten Lebensbereiche überall den Lauf der Welt prägt". Gewonnen hat der Japaner diese Einsicht in New York. Täglich, erklärt er, höre er dort Radiosendungen, in denen pausenlos von Schuld und Verboten die Rede sei, Härte gegen sich selbst und andere gepredigt und zum Kampf gegen die Sünde aufgerufen werde. "Das Christentum ist eine Religion, die keine Wahl läßt und wenig Flexibilität besitzt, die den Menschen klein macht und manipuliert", faßt er seine Erfahrungen zusammen.
Reaktionen auf die Veröffentlichungen zur Ausstellung füllen eine ganze Mappe in der Galerie in der Volksgartenstraße, die man über einen Treppenaufzug unter dem Dach eines Hinterhauses erreicht. Die Phantasie von Frommen und von Spinnern wurde angeregt und führte zu verständnislosen und missionarischen Stellungnahmen. Der Eindruck des Künstlers von der christlichen Welt wurde jedoch kaum ernst genommen. Welches Bild vermitteln die Christen, wenn sie verschrekken? Wieviel geistlicher Unsinn wurde ausgeschüttet, daß nur leere Drohgebärden übrig blieben statt der Kraft der befreienden Guten Nachricht?
Die theologische Erneuerungsbewegung um Karl Barth hat in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts den Unterschied zwischen Christentum und dem persönlichen Glauben der Christen deutlich herausgearbeitet. Während das Christentum eine von christlichen Traditionen, aber auch von römischen Strukturen und griechischer Philosophie beeinflußte Kultur darstellt, die oft genug von den Mächtigen für ihre Zwecke mißbraucht wurde, steht der Glaube auf einem ganz anderem Blatt. Schon Soeren Kierkegaard hatte beißenden Spott über die Vertreter des Christentums ausgegossen und dabei um Vertrauen in Christus geworben. Wo der Glaube sich mit der Macht verbündet, kommt es zu einer unheiligen Allianz. Die beiden schadet: Der Glaube wird zum Instrument und muß sich fügen. Der Macht geht das kritische Gegenüber verloren, das nötig ist, daß der Mensch sich nicht zum Maß aller Dinge erhebt.
Ob man die Kritik mit dem Schwärzen von Bibeln ausdrücken muß? Der Künstler hat wohl mit diesem Symbol einen Unschuldigen zum Sündenbock gemacht, da die Bibel ihren Leser dazu ermutigt, dem "Christentum" Lebewohl zu sagen und dem lebendigen Gott zu vertrauen. Geschwärzte Stellen einer Veröffentlichung wecken jedoch die besondere Neugier des Lesers, und so wird die Bibelschwärz-Aktion unter der Hand zu einem Zeichen, das neugierig macht auf das so gefährlich scheinende Buch.
Eigentlich schade, daß die Diskussion mit dem Künstler nicht noch stärkere Resonanz unter den Christen gefunden hat. Die Kunst als ein Spiegel der Wirklichkeit könnte gerade für engagierte Christen mehr sein als Dekoration für Kahle Kirchenwände. Sie verdient es, als Gesprächspartner ernst genommen zu werden, um zu verstehen, wie Christen und ihre Gemeinden wirken. In der Auseinandersetzung werden beide Seiten verändert werden und am Ende gewinnen.
In dieser Ausgabe der GEMEINDE geht es noch in weiteren Artikeln um die Macht. Weniger in ihrem abschreckenden Gewand, sondern um den rechten Umgang mit der Macht, die sowohl als Potenz als auch als bedrohlicher Herrschaftsanspruch verstanden werden kann. Für Christen ein wichtiges Thema, das sich besonders in der Gemeinde als "Raum des Verstrauens" (Wiard Popkes) auswirken muß.