Worthen Kunst-Bulletin 9/97

Charles Worthen in der Galerie Gabriele Rivet

Farbfreude und Verspieltheit kennzeichnen die Skulpturen des Amerikaners Charles Worthen, die jetzt in der Galerie Gabriele Rivet in Köln ausgestellt sind. Das Industrieprodukt Plastik hat Worthen in geradezu archaischer Weise verarbeitet- geflochten, geknetet, wie Sahne gespritzt — zu Objekten, die eine hohe formale Eleganz und zugleich surrealen Reiz ausstrahlen.
Zu einer kleinen Kabinettschau mit wunderlichen Formen hat Worthen in Köln seine skulpturalen Objekte arrangiert, die wie eine ethnologische Schausammlung aus der Zukunft erscheint. Denn Worthen erreicht mit einer scheinbar kunstgewerblichen Arbeitsweise verblüffend verfremdende Wirkungen. Eine grell rosafarbige Wäscheleine hat er etwa zu einer korbartigen Röhre verflochten, einem funktionsfreien Behälter: Selbst der Titel, <Squirt>, Strahl, belegt die zwingende Suggestion der bauchigen Form.
Doch nicht nur weil alle seine skurrilen Objekte solche Titel tragen, liegen gegenständliche Assoziationen zu den völlig abstrakten Formungen nahe. Denn bei Worthen folgt die Form nicht zwingend aus dem Material; er versteht es, Silikon, PVC, Styropor, Vinyl oder Gummi leichthändig in immer ungewöhnlichen Variationen zu verarbeiten.
Silikon etwa macht er sich souverän zu eigen, indem er es wie Sahne verarbeitet, die zähe Fugenmasse zu cremeartigen Gebilden spritzt, die den Wunsch nach Berührung der scheinbar stacheligen Hülle wecken.
Charles Worthen, der 1958 in Boston geboren wurde und in Köln ansässig ist, hat in Deutschland kaum ausgestellt, - bislang vorwiegend in Japan, wo er neun Jahre lang lebte. Daher stammt wohl auch die Farbfreude und Faszination an synthetischen Materialien. Andererseits ist momentan ebenso in der europäischen zeitgenössischen Skulptur wieder eine Präferenz für Plastik und Kunststoff zu beobachten. Es ist jedoch nicht die Suggestion von Perfektion und Brillanz, die Worthen am industriellen Material interessiert, sondern die Mannigfaltigkeit des Wandels und sein erzählerisches Potential. Hinter der Leichtigkeit des Spiels, hinter der Poesie des Bizarren, steht eine Haltung, die – etwa vergleichbar Eva Hesses frühen Skulpturen – die Naturhaftigkeit und das Morbide des Materials betont, gerade wegen seiner extremen Künstlichkeit. Die Oberflächenfarbe ergibt sich meist aus der Materialfarbe, der haptische kalkuliert mit dem optischen Reiz. Das Material bestimmt auch die Gestalt der Oberfläche. Wenn die aus PVC-Bändern geflochtenen Tafelbilder in ihrer Wirkung zwischen industrieller Perfektion und handwerklicher Struktur changieren, testet Worthen ihre materiale Visualität aus — im Zusammenspiel mit der funktionalen Anmutung des Synthetischen, bringt vielleicht die Alltagsmetapher für Benutzbarkeit ins Wanken – durch die Kraft der künstlerischen Imagination.
MICHAEL KRAJEWSKI