Worthen KSTA 09-7-1997

Ein Spiel, bunt und sinnlichPoesie der Plastik: Skulpturen von Charles Worthen in der Galerie Rivet
Von Renate Roos

Die Plastikskulpturen Charles Worthens verführen zum Berühren, kaum dass man die Galerie Rivet betreten hat. Glänzend und weich türmen sich unzählige nougatfarbene Silikonspritzer, wie Sahnehäubchen auf Cremetorten, zu surrealen Formen auf. In weiser Voraussicht ihres unentrinnbar haptischen Reizes präsentiert Worthen in der Bibliothek der Galerie kleinformatige Skulpturen – zum Anfassen.
Hier verschmilzt wissenschaftlicher Forscherdrang mit ungehemmter Sinnenlust, denn Charles Worthen verbindet die Plastikwelt seiner Skulpturen mit der Poesie des Spiels. Der gebürtige Amerikaner erlebte seine Jugend in Japan, inmitten von bunt leuchtendem Plastikspielzeug. Die glänzende Farbigkeit und die weiche Konsistenz des Materials bildet in Worthens Kunstverständnis eine Metapher auf die spielerische Kreativität des künstlerischen Schaffens.
Die stilistische Offenheit und Vielschichtigkeit im Umgang mit dem Material spiegeln dies wider. Stoffe wie Silikon, PVC, Vinyl, Gummi, Schaumstoff, Styropor oder Polyäthylen werden gewebt, gepresst, gespritzt oder geschmolzen. Die Materialien bestimmen die Formen. Neben der formal strengen Eleganz konzeptioneller Arbeiten wie den „Flechtbildern“ auf deren glatter Oberfläche Lichtstreifen entlanghuschen, finden sich poetische Objekte, die Assoziationen zulassen, ohne sie zu rechtfertigen. Es sind meist archetyp anmutende Arbeiten mit doppeldeutigen Titeln, die einen possenhaften Umgang mit der Vorstellung des Besuchers verraten. Was da aussieht wie ein geflochtener afrikanischer Behälter mit dem bedeutungsschwangeren Titel „Strahl“, kann seiner gedachten Funktion nicht entsprechen, denn das Objekt besitzt weder ein Oben noch ein Unten.
Indessen erstrahlt das Material, eine Wäscheleine, in einem grellen Pink, das jeglichen Gedanken an archetype Formen im Keim ersticken lässt. Die Ironie und das Absurde in Charles Worthens Arbeiten bewirkt beim Betrachter jene gedankliche Leichtigkeit, die er benötigt, um dem spielerischen Charakter der Arbeiten entgegentreten zu können.
Zähflüssige Masse
Die Arbeit „Schokoladenkette“ aus riesigen, glänzend braunen Gummikugeln sieht ihren süßen Originalen appetitlich ähnlich. Einige der Kugeln sind in der Mitte aufgeklappt und zeigen die cremig zähnflüssige Masse jener Füllungen, die man aus Pralinen kennt . Doch noch während das Wasser im Mund zusammenläuft, muss man sich der grausamen Realität zuwenden, die aus der sahnigen Nougatfüllung wieder die ursprüngliche braune Fugenmasse werden lässt. Erst das Zusammenspiel zwischen Phantasie des Besuchers und der Illusion des Materials erzeugt jene spielerische Kreativität, mit der die ernormen synästhetischen Wirkungen der Arbeiten sich entfalten können.