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Volker
Sauls neue Wandskulpturen verdanken sich der Beschäftigung mit Bewegung,
mit der Motorik der Hand beim Zeichnen und Schreiben, dem künstlerischen
Akt per se. Die Hand des Künstlers sei ein ganz besonderes Instrument,
jener Teil des Körpers, der dem Form verleiht, was der Geist entwickelt.
Im Ziehen der Linien auf dem Papier entfaltet sich die Zusammenar-beit
von Intellekt und Emotion. Kenner schätzen daher die Künstlerzeichnung
besonders. Sie verspricht, am kreativen Prozeß nachempfindend teilhaben
zu können. Die Zeichnung ist unmit-telbar, eine Skulptur ist eine
Setzung. Das alles ist natürlich ein romantischer Künstlermythos,
aber ein sehr faszinierender.
Aus seriell entwickelten Formulierungen, 10.000 Zeichnungen, hat Volker
Saul nach persönlichem Kalkül die Vorlagen seiner Skulpturen
ausgewählt. In der Intimität des Ateliers entstanden, zuerst
zufällig, sich der Improvisation verdankend, dann dem konzentrierten
Versuch, der systematischen Erforschung größter Vielfalt bei
minimaler Formvarianz: die Strichstärke schwankt nicht, die Linien
krümmen sich wie Mäander, die Evozierung von Bewegung ist reduziert.
Seine Wandobjekte haben eine manifeste Form, sind Produkt eines handwerklichen
Werkprozesses, in dem das Individuelle, die Handschrift, der Duktus reduziert
wird zugunsten einer Monumentalität, in der das Formkürzel einem
Warenzeichen, einem Markensignet gleicht. Peripheres wird zum monumentalen
Ereignis.
Die vergrößerten Linienschwünge sind das Gegenteil jenes
ausdrücklich beseelten Piktogramms, der Formulierung des Unterbewußten,
die ästhetisch im automatischen Zeichnen der Surrealisten und der
abstrakten Expressionisten Verwendung fand. Das sind reliefierte Körper,
da sie einerseits die Markanz des Reliefs in sich tragen, d.h. einem anarchischen,
auf reiner Wiedererkennbarkeit zielendem Sehen entgegenkommen, und andererseits
Bedeutung suggerieren, vortäuschen.
Hier gewinnt das Skripturale Form, nähert sich der Schrift an. Legt
man graphologische Kriterien wie Neigungswinkel, Bindungsformen, Schriftweite,
Schreibgeschwindigkeit, Rhythmus und Schreibdruck an diese Schrift,
so zeigt sich, daß der scheinbar individuelle Ausdruck sich als
Konzentrat eines gezielt entwickelten Vokabulars erweist. Jedoch zielt
die Annäherung nicht auf Semantik, nicht auf Botschaft, sondern auf
das Schrift erzeugende Verfahren, mehr auf das Schreiben, das Zeichnen
als auf das Erzeugen von Bedeutung - und auf die Gestalt der Zeichen,
auf das Verschleifen von Buchstaben, die Ligaturen.
Es ist eine Alltagserfahrung, daß die Linien der Unterschrift, besonders
bei Vielschreibern, sich im Laufe der Jahre verselbständigen, sich
aus dem Buchstabenkorsett lösen und zum zeichenhaften Ereignis abstrahieren.
Die Signatur wird zum Code, der nicht mehr entschlüsselt werden soll,
da er für sich selbst steht; eine Eigenschaft, die auch auf ein Kunstwerk
zutrifft, das zwar Bedeutung konnotieren kann, jedoch nicht darin vollständig
auflösbar ist.
Die Offenheit eines Kunstwerks weist über den Gedankengehalt hinaus,
es wendet sich nicht nur an den Intellekt, sondern an die Schaulust, die
Imagination, die Phantasie des Betrachters. Daher steht über der
Schrift das Bild.
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